Rollend durch die Welt

Feiern, auf Konzerte gehen und Reisen – sicherlich hast du das schon hunderte Male gemacht. Und dann sagt jemand zu dir: “Ich dachte, dich interessiert sowas nicht!”. Überrascht dich das? In dieser Situation findet sich Marta Llaurado fast täglich wieder. Sie sitzt im Rollstuhl und versucht in ihrem Blog über die Vorurteile aufzuklären, die die Gesellschaft ihr gegenüber hat.

Von Miriam Vázquez und Clara Ramos / 10.8.2016

Marta aus Barcelona, 22 Jahre, und Studentin der Humanbiologie, hat vor kurzem den Blog Rodandovengo erstellt, um von ihren täglichen Erfahrungen zu berichten. Was eigentlich mit der Idee begann, Dampf abzulassen und ihr Liebesleben zu erklären, hat sich zu einer Plattform entwickelt, um für eine Gruppe von Leuten zu sprechen und Aufmerksamkeit zu erregen, die oft in der Gesellschaft unterrepräsentiert ist.

“Die Idee einen Blog zu schreiben, hatte ich schon lange Zeit”, sagt Marta. Sie suchte nach einer Möglichkeit, das was sie mit ihren Followern auf Twitter in 140 Zeilen teilte, zusammenhängender und geordneter zu aufzuschreiben. Aber was genau veranlasste sie zu diesem Sinneswandel? Wie in vielen Filmen und Büchern – die Liebe. “Viele Leute denken, ich wäre an romantischen und sexuellen Beziehungen nicht interessiert. Ich habe mal einen Jungen kennengelernt, der, nachdem wir uns einige Zeit kannten, zu mir sagte: ‘Als ich herausgefunden habe, dass du im Rollstuhl sitzt, dachte ich, dass du nur an einer Freundschaft interessiert wärst.’ – Und wir hatten und über eine Dating-Seite kennengelernt!”

Marta schaut auf ihren Blog Rodandovengo

Marta schaut auf ihren Blog Rodandovengo © Clara Ramos

Marta gibt zu, dass ihr diese Situationen am Anfang weh taten. “Nach und nach gewöhnte ich mir an zu denken ‘Ok, das verpasst du wohl alles’. Und es war dieses ‘Das verpasst du alles’, was mich am Ende zu dem Punkt brachte, an dem ich mich entschloss, meine Unsicherheiten zu bekämpfen.” Allerdings ist diese Veränderung nichts, das einfach über Nacht stattfindet, es ist Teil eines Prozesses. Auch heute ist es immer noch schwierig für sie, im Schwimmbad einen Bikini anzuziehen oder kurze Hosen zu tragen. “Früher habe ich weder Kleider noch Strumpfhosen getragen, inzwischen schon. Ich habe mich stetig weiterentwickelt.”

Doch wann hat diese Unsicherheit überhaupt angefangen? “Es war während der Pubertät, als ich stärkeren Druck fühlte, schön auszusehen”, erklärt sie. “Ich fing an, mich für alles zu schämen. Als ich noch jünger war, ging ich in den Pausen zum Beispiel immer mit auf den Schulhof und machte bei allen Sportarten mit.” Jedoch hat sie mit der Zeit erkannt, dass es egal ist, was die Leute sagen, vor allem diejenigen, die sie nicht kennt. “Ich muss machen, was ich will, die Anderen werden sich immer eine Meinung bilden.

Marta kritisiert besonders ein kontroverses Thema, dem sie normalerweise begegnet: Feiern gehen. “Viele Leute denken, dass ich das nicht mag und lieber zu Hause bleibe”, erklärt sie genervt. Eine vorurteilsbehaftete Wahrnehmung, die sie auf das Bild zurückführt, welches die Medien von Leuten in ihrer Situation zeichnen. “Wenn sie im Fernsehen über den Schlussverkauf berichten, sieht man nie jemand im Rollstuhl beim shoppen. In den Menschen ist das tief verwurzelt, sie sehen dich nicht, unf wenn doch, sind sie überrascht.”

“Zum Beispiel handeln Filme nie von Leuten im Rollstuhl, ohne dass es dabei um eine tragische Geschichte geht. Und nicht alle Geschichten sind traurig, manche muss man einfach nur akzeptieren. Aber es stimmt, dass viele Leute mit ihrer Situation über Nacht klar kommen müssen”, erklärt sie.

Marta während des Interviews

Marta während des Interviews © Miriam Vázquez

Mit dieser kämpferischen Einstellung, hätte Marta auch Journalismus studieren können. “Ich finde das Thema Bekanntmachung gut, aber ich mag auch Naturwissenschaften sehr gerne. Meine Missbildungen wurden durch genetische Mutationen verursacht und deshalb bin ich an Zellbiologie interessiert. Früher habe ich mich gefragt, ‘Was interessiert mich mehr – Forschung oder Kommunikation?’, aber ich schließe es nicht aus, in der Zukunft einen Master in Kommunikationswissenschaft zu machen.”

Obwohl sie sich für Naturwissenschaften entschieden hat, möchte sie nicht aufhören, sich öffentlich zu äußern und bleibt bei der Botschaft, die sie vermitteln will: “Jede Person lebt unterschiedlich mit Beeinträchtigungen und entscheidet sich, wie sie damit umgeht, und wo die eigenen Grenzen sind. Vorurteile lassen uns glauben, dass diese wahr sind, obwohl sie eigentlich unbegründet sind. “

Andererseits findet sie es manchmal frustrierend in Barcelona unterwegs zu sein, obwohl die Stadt gut an Rollstuhlfahrer angepasst ist. “Wenn die Busrampe nicht funktioniert, gibt es keine andere Lösung als auf den nächsten Bus zu warten”. In diesem Fall ist es ein logistisches Problem, aber manchmal verspätet sie sich auch wegen fehlender Empathie. In Shoppingcentern beispielsweise nehmen viele Kunden lieber den Aufzug als die Rolltreppe, eine Wahl die sie nicht hat. “Rolltreppen sind normalerweise in der Nähe der Aufzüge und diese Leute könnten sie benutzen, ich aber nicht, egal wie gerne ich es tun würde. Aber ich versuche niemanden zu verurteilen, da es auch Beeinträchtigungen gibt, die nicht sichtbar sind.“

Marta wartet auf den U-Bahn Lift

Marta wartet auf den U-Bahn Lift © Clara Ramos

Marta ist ein unabhängiges und abenteuerlustiges Mädchen. Als ihr die Möglichkeit angeboten wurde, Erasmus in Großbritannien zu machen, zögerte sie nicht einen Augenblick. “Ich war fast fünf Monate in Guildford und hatte eine wunderbare Zeit dort.” Ihre Familie stand ihrer Entscheidung zunächst ängstlich gegenüber. Sätze wie “Du gehst sehr weit weg” oder “Mal schauen, wie du dort zurecht kommst”, waren die ersten Reaktionen, nachdem sie die Neuigkeiten erfahren hatten. Doch nach dem ersten Schock waren sie es, die sie am meisten unterstützen. Demgegenüber stand die Einstellung ihrer Freunde, die sie schon von Anfang an ermutigten, sich auf diese neue Erfahrung einzulassen. “Alleine zu leben hat sich als sehr positive Erfahrung für mich herausgestellt”, erklärt sie. “Es war für mih ein Beweis, dass ich alleine klar komme und meine Mama nicht brauche, um weiter zu kommen. Übrigens, als ich aus Großbritannien zurück kam, entschied ich mich, in eine Studentenwohnung zu ziehen. Ich muss mich jetzt nicht mehr darum kümmern, ob ein Zug rollstuhlgerecht ist oder nicht.

Jetzt, da sie nur noch das letzte Jahr Uni vor sich hat, was sind ihre Pläne für die Zukunft? “Ich würde gerne meinen Blog weiter schreiben oder vielleicht sogar einen Youtube Channel machen. Aber bis jetzt ist das nur ein Hobby. Das größte Ziel für mich wäre, zu einem TED Talk eingeladen zu werden”, verrät sie lachend. “Ich würde gerne Leute inspirieren, ob mit oder ohne Beeinträchtigungen. Ich bin manchmal noch unsicher, aber ich will jedem helfen, der in der gleichen Situation ist, mein ‘Ich’ vor drei Jahren.”

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Autorin

Clara Ramos (Spanien)

Studium: Übersetzen und Dolmetschen

Sprachen: Spanisch, Katalanisch, Englisch und ein bisschen Deutsch

Europa ist… eine wunderbare Mischung aus Kulturen und Sprachen zum Entdecken und Genießen!

Autorin

Miriam Vázquez (Spanien)

Studium / Arbeit: Journalismus, Politikwissenschaftt, Verwaltung

Sprachen: Spanisch, Katalanisch, Englisch, etwas Französisch und Deutsch

Europa ist… ein einmaliger Ort, an dem Menschen mit verschiedenen Kulture, Sprachen und Meinungen zusammen leben.

Twitter: @mirabroad

Übersetzung

Felicitas Ortlieb (Deutschland)

Studium: Politikwissenschaften

Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch

Europa ist… das Herzstück meiner Generation

Korrektur

Anja Meunier (Deutschland)

Studium: Mathematik und Wirtschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch

Europa hat… schöne Länder, interessante Leute, einen tollen Lebensstil. Und die Notwendigkeit zusammen zu halten.

500px: Anja Meunier

Author: Anja

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