Die Stop-den-Brexit-Bewegung in Großbritannien: Ein Interview mit einem EU-Supergirl

Madeleina Kay ist eine pro-europäische Aktivistin in Großbritannien, bekannt für ihre EU-Supergirl Persönlichkeit in den sozialen Medien. Aktuell setzt sie sich für eine Volksabstimmung zum Brexit-Deal ein und hofft, den Brexit im März 2019 abwenden zu können.

Von Sarah Robinson / 14.04.2019

Was bedeutet die EU für dich?

Ich bin als EU-Bürgerin auf die Welt gekommen. Ich wurde mit diesen Rechten geboren. Der Gedanke, dass diese Rechte mir genommen werden, entsetzt mich. Aber es geht nicht nur um mich, es geht um eine ganze Generation und ein ganzes Land. Ich lehne die Idee von Grenzen ab, die Vorstellung, dass dir jene Menschen, die dir geografisch näher sind auch wichtiger oder von höherem Stellenwert sind. Die EU ist ein Fest der multikulturellen Diversität. Es unterstützt nationale Identitäten, fördert kulturelle Interessen und ermutigt uns, diese kulturellen Erfahrungen zu teilen und gemeinsam zu arbeiten. Man erreicht so viel mehr als Mensch, wenn man mit anderen zusammenarbeitet, und man erreicht so viel mehr als Institution oder auch als Land, wenn man mit anderen Ländern zusammenarbeitet. Man ist Teil eines großen Ganzen und deshalb auch viel stärker. Wenn wir die EU verlassen, dann werden wir weniger Mitspracherecht bei internationalen Gesetzgebungen und Entscheidungsprozessen haben. Ich selbst habe viel interkulturelle Erfahrungen. Meine Eltern sind beide Universitätsdozenten und vermieteten ein Zimmer an ihre Masterstudierenden in unserem Haus, was mir bereits in jungen Jahren eine internationale Perspektive verschafft hat. Es formte meine Einstellung, dass Reisefreiheit etwas gutes und positives ist, weil es zu unserer kulturellen Vielfalt beiträgt.

Was ist deine Meinung zur Kampagne, die für eine Volksabstimmung eintritt?

Die Kampagne, um den Brexit aufzuhalten und eine Volksabstimmung zu erreichen, ist kein parteipolitischer Wahlkampf. Er wird von unabhängigen Organisationen geführt. Es stehen zwar Parlamentarier der wichtigsten Parteien, die rebellieren, an ihrer Spitze, aber nicht für eine spezifische Partei. Das Problem ist, es sind wieder die gleichen Leute, die die Kampagne führen, die bereits während des Wahlkampfs zum Brexit-Referendum für einen Verbleib in der EU gekämpft haben. Meiner Meinung nach führen sie einfach eine gescheiterte Strategie fort, was sehr frustrierend ist.

Woher kommt deine Frustration? Hat es mit den politischen Parteien zu tun oder hat das andere Gründe?

Ich mische mich nicht vorsätzlich in Parteipolitik ein. Ich bin keine Wahlkämpferin und ich glaube fest an Koalitionen, an die Zusammenarbeit von Parteien. Wir haben dieses verrückte Zweiparteiensystem in Großbritannien, bei dem wir von einem extreme ins andere kommen, und wirkt wie Stammeszugehörigkeiten. Das Problem im Moment ist, dass es keine oppositionelle Partei zum Brexit gibt. Die einzigen Parteien, die gegen den Brexit sind, das sind die Liberaldemokraten und die Grünen. Wir brauchen aber parteiübergreifende Unterstützung, um den Brexit zu stoppen. Die Konservativen behaupten, sie hätten ein Austrittsauftrag erhalten, aber das stimmt nicht, weil es so nicht auf dem Abstimmungszettel angegeben war. Das Referendum ist rechtlich nicht bindend, und in früheren, rechtlich bindenden Abstimmungen, mussten mindestens 40% der Wählerschaft zustimmen, damit eine konstitutionelle Änderung veranlasst werden konnte. In der Abstimmung zum Brexit waren es aber nur 37% der Wähler, das macht 26% der Bevölkerung, die für einen Austritt aus der EU gestimmt haben. Diese bestimmen zu 100% über die Zukunft des Landes. Zudem hat Theresa May die Mehrheit bei der letzten Wahl verloren und wird deshalb jetzt von der DUP, der Partei der Demokratischen Unionisten, unterstützt. Das zeigt weiter, dass das Volk den Brexit, den ihre Partei verfolgt, nicht unterstützt. Sie wissen, dass ein Brexit weit schlimmeren wirtschaftlichen Schaden anrichten wird, als die bisher vorhergesagten Szenarien zeigen (bisher geht man von einem Rückgang von 2% bis 6% des BIP aus, wobei der niedrigste Prozentsatz einen Verlust von 440 Millionen Pfund pro Woche bedeuten würde). Die Menschen wurden angelogen und daher das Ergebnis nicht rechtmäßig. Das ist auch der Grund, warum es eine Volksabstimmung über die endgültige Einigung geben sollte. Die Labour Partei redet über einen Jobs-zuerst-Brexit, aber das gibt es nicht, wenn ein Brexit wirtschaftlichen Schaden anrichtet. Das bedeutet dann verlorene Arbeitsstellen und verlorene Möglichkeiten für junge Menschen, um im Ausland zu arbeiten und zu studieren. 18-24 Jährige haben zu 75% für einen Verbleib gestimmt, deshalb repräsentiert Jeremy Corbyn diese auch nicht. Es ist besorgniserregend, dass 50% der Jungen glauben, er sei pro-europäisch, weil er es bisher vermieden hat, seine Meinung zu äußern. Im Moment wirkt es so, als würde die Labour Partei einen harten Brexit verfolgen, also einen Austritt aus dem Binnenmarkt mit einem Verbleib in der Zollunion, aber wer weiß, ob sie eine derartige Einigung erreichen können.

Was ist deine Meinung zum “Just-Get-On-With-It”-Syndrom, also, dass Briten – egal wie sie abgestimmt haben – sagen, dass der Brexit nun einfach passieren soll?

Das hört man zwar sehr oft, aber ich denke nicht, dass die Mehrheit der Menschen so denkt. Wenn man der Meinung ist, dass der Wahnsinn der letzten zwei Jahre mit einem Brexit vorbei wäre, dann täuscht man sich. Der Brexit kann sich in die Länge ziehen und die Auswirkungen könnten für Jahrzehnte spürbar sein. Wenn man pragmatisch ist, dann ist die einzige, sinnvolle Möglichkeit der Verbleib. Wenn man genug vom Brexit hat, dann ist die einzige Möglichkeit, den Brexit zu verhindern. Ich denke, viele Menschen, die für einen Brexit gestimmt haben, sind von einem einfachen Austritt ausgegangen, aber niemand wusste, wie kompliziert und schwierig es werden würde.

Was sind deine Erfahrungen mit deinem Publikum in der EU?

Das ist eine meiner Hauptzielgruppe. Bisher habe ich viel Medienberichterstattung aus der EU bekommen, dafür weniger in Großbritannien. Ich denke, das liegt an der positiven, pro-europäischen Erzählform, die ich pushe und ausprobiere. Ich habe immer eine EU-Fahne dabei und rede immer über die Vorteile der EU, über die bisher nicht gesprochen wurden und über die leider auch weiterhin nicht von den Wahlkämpfern, die für einen Verbleib eintreten, gesprochen wird. Während eines Young European Movement-Workshops in Straßburg gab es eine Debatte zum Referendum, bei der diskutiert wurde, ob die EU Großbritannien wieder aufnehmen sollte, wenn man die Entscheidung umkehren würde. Es macht mich nachdenklich, dass man den Brexit als eine demokratische Vorgehensweise argumentiert. In meiner Schlussrede klärte ich darüber auf, dass es nicht so ist, was viele nicht wussten, obwohl sie politisch interessiert sind. Viele dachten, dass es ein rechtlich bindendes Referendum war. Es ist wichtig, die Botschaft über die Unrechtmäßigkeit der Abstimmung in Europa zu verbreiten und auch darüber zu informieren, warum dieses angefochten werden muss.

Was ist die Strategie hinter der Kampagne für eine Volksabstimmung?

Da sind zwei Wahlkämpfe zu schlagen. Erstens muss es zu einer Abstimmung kommen und zweitens diese dann auch gewinnen. Zuerst muss man es schaffen, beide Lager anzusprechen und ihnen klarzumachen, dass eine Volksabstimmung die einzig demokratische Vorgehensweise wäre. Das ist ein guter Ansatz, aber damit können wir die Abstimmung nicht gewinnen, sollte es eine geben. Eine der Gründe, warum wir das Referendum verloren haben, war das Projekt Fear. Die Kampagne für einen Verbleib war angeführt von Berufspolitikern, die die negative Seite des Brexits betont haben, das ist schön und gut. Aber die meisten Menschen, die für einen Austritt gestimmt haben, kommen aus ländlichen Regionen, die die Entbehrung um sich herum sehen und sich fragen, wie viel schlechter die Situation durch einen Brexit wirklich werden könnte? Immer her damit. Die EU wurde als Sündenbock hingestellt, Immigration instrumentalisiert und mah hat eine rosige Zukunft mit mehr Geld für den staatlichen Gesundheitsdienst versprochen. Die Menschen glauben noch an diese Versprechen, auch wenn sich in der Vergangenheit viele als unwahr herausgestellt haben. Sie haben die Hoffnung gewählt, für eine bessere Zukunft. Ich nehme es ihnen nicht übel, ich nehme es nur jenen übel, die für die Irreführung verantwortlich sind. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass sie belogen wurden, und dass es auch innerhalb der EU eine bessere Zukunft geben kann, vor allem in einer reformierten EU. Ich möchte Menschen darüber informieren und aufklären, was die EU getan hat, um die Ungleichheiten, die Westminster verursacht hat, mit Förderungen für benachteiligte Gebiete auszugleichen. Es ist nämlich ein verzerrtes Bild, weil nicht klar ist, wie diese EU-Förderungen genutzt wurden. Diese Regionen werden am härtesten vom Brexit getroffen, deshalb müssen wir sie darüber aufklären und ihre Meinung ändern. Wir haben bereits erste Meinungswechsel bei Frauen und Müttern gesehen, die bisher für einen Austritt gestimmt haben. Zudem werden immer mehr junge Menschen wahlberechtigt, die bereits von vornherein pro-europäischer sind, weil sie mit diesen Rechten aufgewachsen sind und sich mit ihrer EU-Identität wohlfühlen und auch mit Immigrationkein Problem haben. Ich bin mir sicher, wenn man es richtig angeht, dann können wir alles noch umdrehen. Aber wir brauchen dringend positive Bilder und Erzählungen, aber auch ermahnende.

Welche Reaktionen gibt es auf der Straße zum Wahlkampf?

Es ist sehr gemischt. Jede Person ist sehr verschieden. Ich hasse die Vorstellung, dass der Brexit das Land gespalten hat. Es gibt so viele Graustufen und wir müssen einen konstruktiven Dialog über die Gründe für die Abstimmung der Menschen führen, über ihre Hoffnung, ohne den Missbrauch, den wir bisher gesehen haben. Ich habe mit älteren Menschen gesprochen, die mir erklärt haben, dass es nicht so schlimm werden wird, wie ich denke, auch wenn ich auf die bisher wirtschaftlichen Einbußen von bereits 2,1% des BIP hinweise. Diese Menschen werden immer hartnäckig an ihrer Meinung festhalten. Es sind die anderen, die zugänglicher und offener sind. Viele Menschen engagieren sich nicht und interessieren sich auch nicht. Sie wissen nichts über die Vorteile der EU-Mitgliedschaft, wie viele Institutionen, Organisationen, Initiativen und sogar Gesetze, die unser Leben leichter machen, aus der EU kommen. Ich reise mit meinen Broschüren und Poster zum Verbleib durch Großbritannien, um Menschen darüber zu informieren. Es ist wichtig, dass die Menschen Bescheid wissen, damit sie eine informierte Entscheidung treffen können. Da können meine hellen, farbenfrohen Poster nterstützen. Sie sind sehr greifbar und einfach zu verstehen. Sie zeigen auf einfache Weise, wie die EU das Leben einzelner Menschen beeinflusst. Andere Menschen können wütend werden, die nur Probleme verursachen wollen, aber das ist eine Sache für die Polizei. Es ist naiv zu sagen, dass jeder, der für einen Austritt gestimmt hat, das gleiche gewählt hat, es aus dem gleichen Grund getan hat oder noch immer die gleiche Einstellung, wie vor dem Referendum, hat.

Du hattest viel Resonanz in der europäischen Presse, haben diese das richtige Bild von Großbritannien im Moment? Sind sie überrascht jemanden mit einem anderen Narrativ zu sehen?

Ich denke, sie sind überrascht. Letztes Jahr im Dezember habe ich in einem Projekt gehabt. Dafür habe ich über ein halbes Jahr Briefe der Solidarität in Großbritannien gesammelt, die alle an einen anonymen europäischen Freund adressiert waren. Damit wollte ich zeigen, dass es Menschen gibt, die gegen den Austritt und für menschliche Beziehung über Grenzen hinweg eintreten. Wir haben die 1000 Briefe nach Brüssel mitgenommen und hatten ein Treffen mit Guy Verhofstadt, darüber gab es auch einiges an Medienberichterstattung. Die Reaktionen die wir bekamen, als wir die Briefe auf dem Weihnachtsmarkt in Brüssel ausgeteilt haben, waren interessant. Jene, die im Parlament arbeiten waren dankbar für die Initiative und froh, dass wir versucht haben, diese Botschaft nach außen zu tragen. Menschen, die nicht politisch aktiv waren, war vorher nicht klar, dass es überhaupt eine Kampagne gegen den Brexit gibt. Es war auch nicht klar, wie knapp das Ergebnis eigentlich. Sie dachten, dass alle Briten soweit zufrieden mit dem Ergebnis sind. Ich fand es sehr hilfreich, mit den Menschen darüber zu sprechen.

Glaubst du, es wird den Brexit geben?

Diese Frage höre ich sehr oft. Wenn wir den Brexit aufhalten wollen, dann brauchen wir so viel öffentliche Unterstützung wie möglich. Und Menschen, die daran glauben, denn es ist eine Sache von Glaube und Vertrauen. Je mehr Menschen unsere Botschaften in die Welt hinaustragen, umso wahrscheinlicher können wir den Brexit aufhalten. Wir brauchen den Willen der Menschen, um den Brexit aufzuhalten. In dieser Situation kann man keine Zweifel zulassen. Es ist wie bei Handelsvertretern, man muss 100% Vertrauen in den Wahlkampf haben. Deshalb habe ich auch von Anfang an das Bild des EU-Supergirls konstruiert; es ist ein Charakter, eine Bastion der Hoffnung und Positivität für die Kampagne über einen Verbleib. Ich bin keine Superheldin. Ich persönlich bin aber davon überzeugt, dass wir es schaffen können. Der Brexit muss aufgehalten werden, wir können es und wir werden es auch.

Author

Sarah Robinson (Vereinigtes Königreich)

Studien: Französische und Deutsche Sprache und Literatur

Sprachen: Französisch, Deutsch und Englisch

Europa ist... komplex und  unschätzbar.

Translator

Barbara Konturek (Österreich)

Studium: Journalism, Media and Globalisation (Erasmus Mundus Master’s)

Sprachen: Deutsch, Englisch, etwas Dänisch

Europa ist… wo ich wohne, was ich liebe.

Author: alessandra

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