Das Elsass entdecken: das Ecomusée d’Alsace

Alsace, a region located on the eastern border of France close to Germany and Switzerland, is a magical place full of surprises. In this new series, we will take you to this very special place and give you a taste of the many wonders it has to offer.

Von Alessandra Ivaldi / 9.6.2020

Zeitreisen sind eine einzigartige Erfahrung – und wir sprechen hier nicht von etwas aus einem Science-Fiction-Roman, sondern von einem ganz besonderen Ort nicht weit von Mülhausen und Colmar, den beiden Städten, die wir in den vorherigen Artikeln dieser Reihe beschrieben haben. Der Ort, um den es hier geht, existiert auf halbem Weg zwischen dem frühen 20. Jahrhundert und unserer Zukunft: Er ist bekannt unter dem Namen „Ecomusée d’Alsace“ und er ist das größte Ökomuseum Frankreichs und eines der wichtigsten Europas.

Zunächst einmal: Was ist ein „Ökomuseum“? Ein Ökomuseum ist eine Institution, deren Ziel es ist, Gebiete mit einem bedeutenden Kultur- oder Naturerbe zu schützen und zu fördern. Ein solches Museum ist weder von einer Mauer umgeben noch in ein Gebäude „gesperrt“: Sein Areal und die darin wohnende Gemeinschaft, die seine Traditionen aufrechterhält, sind selbst das Ökomuseum. Besucher haben die Möglichkeit, das Leben in der Gemeinschaft und das lokale Kulturerbe aus nächster Nähe zu erleben.

Um eins klarzustellen … Nehmen wir das Ecomusée d’Alsace als Beispiel. In den 1970ern konnte man im Elsass ein sonderbares Bauphänomen beobachten: Die wunderschönen und traditionellen elsässischen Häuser, welche mit uralten Techniken gebaut worden waren und die Landschaft seit unvordenklichen Zeit geprägt haben, wurden in raschem Tempo zerstört, um Platz für anonyme und nichtssagende moderne Gebäude zu machen. Die Gründe für diese Abrisswelle waren einerseits soziostruktureller Natur (z. B. Landflucht), hatten aber auch mit Statusdenken zu tun (mit der Zeit gehen, die ländliche Vergangenheit der Region ausradieren).

Glücklicherweise entschloss sich eine Gruppe einfallsreicher Studierender und Freiwilliger, sich für die Bewahrung diesere Gebäude einzusetzen. Ursprünglich hatten sie vor, die entsprechenden Originalhäuser abzubauen und an anderer Stelle wieder aufzubauen, um ihr ehrgeiziges Vorhaben umzusetzen: Eine Art „Zufluchtsort“ für die elsässische Tradition.

Dieser Zufluchtsort lag auf dem ehemaligen Gelände einer Industrieanlage, das durch die Gemeinde Ungersheim zur Verfügung gestellt wurde. Die Gebäude wurden hier genauso wieder aufgebaut, wie sie an ihrem Originalstandort ausgesehen hatten. So entstand das Dorf, das wir jetzt „Ecomusée d’Alsace“ nennen.

Mit der Zeit füllten sich die Räume der Häuser mit Gegenständen aus der elsässischen Tradition sowie Fotografien und Dokumenten, die von Familien aus der ganzen Region gespendet wurden. Heute können Besucher das Dorf betreten, sich in den Gebäuden umsehen und beobachten, wie sich das Leben der Bewohner entfaltet.

Zum Leben erweckt wir das Dorf durch eine Gruppe von Guides/Entertainern, die ihr Leben dem Rhythmus der Vergangenheit angepasst haben und verschiedene Berufe verkörpern: den Barbier, den Schmied, Bauern und Hirten, die Lehrerin mit ihrer kleinen Schule, den Geigenbauer … 

Frauen in entzückenden traditionellen elsässischen Kleidern kochen köstliche Gerichte nach lokaler Tradition, wobei sie den neugierigsten Besuchen manchmal die Geheimnisse einiger Rezepte verraten.

Neben dem Essen gibt es tausend Möglichkeiten, seine Zeit im Ecomusée zu verbringen. Man kann etwa Spiele spielen, die Kinder und Erwachsene einst gleichermaßen zu spielen liebten, oder das gigantische Gebiet des Ökomuseums per Pferdekarren erkunden. Außerdem kann man den Geschichten und Erklärungen der Dorfbewohner über alte Arbeitstechniken oder die eigentümliche  Geschichte der Region und seiner verschiedenen Dialekte (zwischen Französisch und Deutsch) zuhören. Das liegt daran, dass das Elsass eine sehr außergewöhnliche Region ist, dessen Kultur stark von seiner schwierigen Geschichte geprägt wurde: Es war schon immer Anlass von Streitigkeiten zwischen Frankreich und Deutschland.

Über den historischen und kulturellen Aspekt hinaus bemüht sich das Ökomuseum auch, das Naturerbe der Gegend zu bewahren. Tatsächlich werden viele Tier- und Pflanzenarten im Museum geschützt und gepflegt. Das offensichtlichste Beispiel hierfür sind die zahlreichen Störche, die auf den Dächern der Dorfhäuser nisten. Hat man die Gelegenheit, das Museum zu einer bestimmten Zeit im Jahr zu besuchen, kann man viele Exemplare dieses eleganten Vogels von Nahem beobachten.

Eine weitere Besonderheit des Ökomuseums: Auch wenn man es mehrmals im selben Jahr besucht, wird man immer etwas Neues sehen, denn das Leben im Museum muss mit den Veränderungen durch den Klimawandel Schritt halten, wie es das immer getan hat. Die Bewohner des Dorfes folgen dem Verlauf der Jahreszeiten mit Hilfe von Festen und Veranstaltungen, die typisch waren für die elsässische Vergangenheit und die mit Volksglauben und Religion zusammenhingen.

Ein Ökomuseum sollte jedoch nicht nur mit der Vergangenheit verbunden sein. Um Traditionen zu bewahren, muss man sie leben und sich nicht nur an sie erinnern. Genau das tun die Bewohner des Dorfes heute, während sie gleichzeitig die Zukunft im Auge behalten.

Wie? Bei der Erkundung des Museums wird man auf ein Areal mit eher bizarr aussehenden Gebäuden stoßen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, sie wären mit traditionellen Techniken gebaut worden, aber die Ausstattung im Inneren kommt aus der modernen Welt oder vielmehr der Gesellschaft der Zukunft. Diese Gebäude sind Teil des Projekts „Das 21. Jahrhundert im Elsass leben“ und sie dienen als Experiment, um zu erproben, wie zukünftige Generationen von den Techniken und dem Wissen unserer Vergangenheit profitieren könnten, um eine umweltfreundlichere Gesellschaft zu gestalten.

Dieser fortwährende Dialog zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und der Fähigkeit, sich stetig weiterzuentwickeln, ohne das ursprüngliche Ziel aus dem Blick zu verlieren, stellt die wahre Bedeutung des Ecomusée dar.

Autorin

Alessandra Ivaldi (Italien)

Sprachen: Italienisch, Englisch, Deutsch, Französisch

Europa ist... ein kulturelles Erbe.

Webseite: https://iva1794.wixsite.com/home

Übersetzer

Birger Niehaus (Deutschland)

Studium: Deutsch / Skandinavistik

Sprachen: Deutsch, Englisch, Schwedisch, ein bisschen Isländisch und Finnisch

Europa ist … dieses Fleckchen zwischen Alaska und Västerås.

Blog: anseranser.blog

Author: alessandra

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