Zahl doch, was du willst!

In Wien gibt es ein ungewöhnliches Restaurant: Hier entscheidet jeder Gast für sich selbst, wie viel er für sein Essen bezahlen will.

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Ein pakistanisches Restaurant im 9. Wiener Gemeindebezirk. Drei Räume, jeder ist anders eingerichtet. Der erste: hellgraue Tische, vollgemalte Plexiglasscheiben an den Wänden, daneben Filzstifte, mit denen sich jeder Gast mit einem Spruch oder einer Zeichnung verewigen kann. Der zweite: Kinderspielecke, Liegesofa, ein gut gefülltes Bücherregal an der Wand. Der dritte: eine Bar am einen Ende, eine Bühne am anderen. Das Entscheidende: Im ersten Raum, gleich wenn man das Restaurant betritt, gibt es ein Buffet. Mit seinen fünf Haupt- und zwei Süßspeisen ist es beileibe nicht das reichhaltigste Buffet der Stadt, und ob es das beste ist, muss jeder Besucher selbst beurteilen. Definitiv ist es aber das interessante. Denn hier gilt die schlichte wie geniale Preispolitik: Der Gast bestimmt, wie viel ihm seine Mahlzeit wert war.

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„Der Wiener Deewan“ – der Name, den das Restaurant trägt, erinnert stark an ein nahöstliches Sitzmöbel, wie das im zweiten Raum des Hauses. Oder an eine berühmte Gedichtsammlung von Johann Wolfgang von Goethe. Beide Assoziationen sind durchaus erwünscht, allerdings: Den „Deewan“ benannten seine beiden Geschäftsführer ganz pragmatisch nach sich selbst. Im April 2005 eröffnete das Ehepaar Natalie und Afzaal Deewan sein Restaurant in der Liechtensteinstraße 10. Nicht einmal ein Jahr zuvor war der Koch Afzaal Deewan von Pakistan nach Wien gekommen. Dass er als Asylbewerber zur Untätigkeit verdammt sein sollte, gefiel ihm nicht. Deshalb suchte er mit seiner gerade erst kennengelernten und rasch geheirateten österreichischen Frau Natalie nach einem simplen Imbissstand zum Mieten – und landete in einem alten Wirtshaus. „Es war schon ein seltsames Gefühl, einen Mietvertrag für das Steakhaus ‘Zum wilden Stier’ zu unterschreiben, wenn man eigentlich ein pakistanisches Restaurant eröffnen will“, erinnert sich Natalie Deewan lachend.

Die alte Ausstattung, die aus Wagenrädern und traditionellen Holzvertäfelungen bestand, wurde entfernt, die Tische lackiert und dem Etablissement ein gemütliches Flair mit orientalischem Touch verliehen. Das Konzept, ein Buffet anzubieten, stand von Beginn an fest, denn, so Frau Deewan, „ein Curry muss in großen Gefäßen gekocht und verteilt werden“. Auch sollte das neue Restaurant möglichst offen für ein breites Spektrum an Personen sein. Die Rollenverteilung beim Ehepaar Deewan war klar: Afzaal kümmert sich um das Essen, Natalie um alles andere. „Non-Food“, wie sie selbst ihr Aufgabenfeld umreißt. Das betrifft unter anderem Einkauf, Buchhaltung, Einrichtung, Öffentlichkeitsarbeit und Design.

Alles war bereit für die große Eröffnung. Es gab eine Getränkekarte mit moderaten Preisen, Wasser würde gratis sein und an den Tisch gebracht. Nur: Die Deewans wussten nicht, wie viel Geld sie für ihr Essen verlangen sollten, hatten sie doch keinerlei Erfahrung im gastronomischen Bereich. Die erste Idee war, alle Gäste in der ersten Woche kostenlos speisen zu lassen, quasi als Werbeaktion, um das Lokal bekannt zu machen. Die wurde schnell von einer anderen abgelöst, und die neue Idee machte den „Deewan“ auf einen Schlag einzigartig in ganz Österreich: Pay as you wish – bezahle so viel du willst – das gab es in keinem anderen Restaurant in der gesamten Alpenrepublik. Das Konzept war eine Art Experiment, ob es auch längerfristig funktionieren würde, stand in den Sternen. Ein Sicherheitsnetz gab es nicht, alles Geld der Jungunternehmer steckte im “Deewan“. „Zu Beginn hatten wir noch einen Vertrag mit einem Abnehmer, der wollte uns jeden Tag 100 Portionen abkaufen und selbst verteilen, und damit wollten wir die laufenden Kosten decken“, erzählt Natalie Deewan. „Aber der Abnehmer kam nur am ersten Tag, und am zweiten schon nicht mehr.“ Im Nachhinein stellte sich dies als Glücksfall heraus, denn „der Laden lief so gut, dass wir es gar nicht geschafft hätten, noch 100 Portionen extra zu produzieren.“

Heute, mehr als acht Jahre später, arbeiten im „Wiener Deewan“ 14 Angestellte in Küche und Service. Nachdem das Restaurant anfangs nur aus zwei Räumen bestand, kam nach einigen Monaten auch der Keller als Gästeraum hinzu. Hier findet einmal im Monat eine Jamsession statt, bei der Menschen aus aller Welt unter dem Motto „Play as you wish“ Musik machen, während an den Tischen weiter gegessen wird. Jahr für Jahr fährt das Ehepaar Deewan, das 2006 mit einem vom österreichischen Wirtschaftsministerium geförderten Jungunternehmerpreis ausgezeichnet wurde, mit seinem Restaurant solide Gewinne ein – wie die Jahresbilanzen zeigen, die die Deewans auf der Homepage des Lokals veröffentlichen. Zu diesem ungewöhnlichen Schritt entschlossen sie sich, weil sie immer wieder gefragt wurden, ob sie mit dem Restaurant überhaupt etwas verdienen. „Manchmal“, so Natalie Deewan, „drucke ich für Journalisten, die mit mir ein Interview führen, die Tagesabrechnung aus. An der können sie dann genau sehen, wie viele Gäste da waren und wie viel Geld sie im Schnitt bezahlt haben.“ Diese Transparenz gehört zum persönlichen Charakter, der den „Wiener Deewan“ ausmacht. Der “Deewan“ ist kein steriles Restaurant, in dem der Gast gesichtslos bleibt. Seine Strukturen sind über die Jahre gewachsen: Manche Kellner arbeiten hier fast seit der Eröffnung, es gibt viele Stammgäste, die mit ihren regelmäßigen Besuchen einen großen Teil zum Erfolg des Konzepts beitragen. Und dann gibt es da ja noch die „Kostet, was ihr wollt“-Preispolitik.

Foto: Heribert Corn

„Wer zu uns zum Essen kommt, der muss sich die Wertfrage stellen“, wird Natalie Deewan philosophisch: „Wie viel ist mir das wert, was ich gerade zu mir genommen habe?“ Gerade beim ersten Besuch fällt es vielen Gästen schwer, das einzuschätzen. Kommen sie dann aber zum wiederholten Mal, haben sie bereits einen festen Preis im Kopf und können nachträglich nach oben oder unten korrigieren, wenn sie beim letzten Essen zu viel oder zu wenig gegeben haben. Wobei vor allem „zu wenig“ ein relative Größe ist. „Die drei Kriterien, nach denen ein Gast üblicherweise bezahlt, sind Menge, Zufriedenheit und Liquidität“, sagt Frau Deewan. Wegen der Nähe zur Universität kommen am Mittag vor allem Studenten in den „Deewan“ und verbringen ihre Pausen bis zur nächsten Vorlesung hier. Die zahlen dann nicht so viel wie Gäste, die den Abend hier verbringen. Am Wochenende und in den Semesterpausen steigt der Schnitt, der sich allerdings über die Jahre bei konstanten fünf Euro pro Person eingependelt hat. „Der ‘Wiener Deewan’ ist ein bipolares Lokal“, erklärt Frau Deewan, „der Gast hat bei uns die Möglichkeit, seine Anerkennung oder Enttäuschung direkt über den Preis kundzutun.“ Dass Gäste gehen, ohne zu bezahlen, kommt ab und zu vor, „aber die haben es meistens nur vergessen und geben dann doch was.“

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Mit dem Medienecho, den der „Deewan“ bei seiner Eröffnung ausgelöst hatte, ging ein weiteres einher, das vor allem Afzaal Deewan und seinen Aufenthalt in Österreich betraf. Als 2005 sein Antrag auf Asyl in erster Instanz abgelehnt wurde, entschloss er sich, eine Niederlassungsbewilligung als Familienangehöriger zu stellen; da war er bereits seit einem halben Jahr mit Natalie verheiratet. Für die Bewilligung musste er allerdings seinen Asylantrag zurückziehen. Mit 2006 trat jedoch eine Gesetzesänderung in Kraft, die die Übergangsphase aussetzte und Afzaal zu einem sich illegal in Österreich aufhaltenden Ausländer machte. Eine absurde Situation: Afzaal Deewan war ein erfolgreicher und preisgekrönter Unternehmer, schuf mit seinem Restaurant Arbeitsplätze – und zugleich drohte ihm die Abschiebung. Die einzige Lösung wäre eine Reise nach Pakistan gewesen, wo er mindestens ein halbes Jahr auf die Bewilligung seines Asylantrags hätte warten müssen. Aber das hätte zumindest das vorläufige Ende des „Wiener Deewan“ bedeutet. Für die Wende sorgte ein Zufall: Ende 2007 rief der pakistanische Präsident Musharraf den Ausnahmezustand aus, und dessen Dauer von sechs Wochen reichte dafür aus, Afzaal Deewans Antrag in Wien zu stellen und genehmigen zu lassen. Seither kann er regelmäßig seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen. Um die zu bekommen, muss er ein bestimmtes Mindesteinkommen vorweisen. Ein Einkommen, das ihm sein „Deewan“ sichern muss. Dramatisch formuliert: Klingelt es zu selten in der Kasse, muss Afzaal Österreich verlassen. Noch dramatischer: Afzaal Deewan kocht um sein Schicksal, und zufriedene Gäste sichern ihm den Verbleib in seiner Wahlheimat. Auch das ist Teil des persönlichen Charakters, der den „Wiener Deewan“ so besonders macht.

Autor

Alexander Kords (Österreich)

Studium / Arbeit: Journalist und Autor

Sprachen: Deutsch, Englisch, etwas Französisch, Spanisch und Ungarisch

Europa heißt… dass man in einem kommunistischen Land geboren werden, in einer Demokratie studieren und in einem ehemaligen Kaiserreich leben kann.

Blog: alexkordsblog.wordpress.com

Author: maria

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1 Kommentar

  1. Hört sich echt toll an, wenn ich mal in Wien bin, muss ich da hin!

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