„Wir fühlen uns an den tschechischen Unis wie Zuhause“

Ein neuer Trend? Slowakische Studierende an tschechischen Universitäten.

Wanda, Dominika und Matúš sind nur einige der vielen jungen Leute aus der Slowakei, die sich dazu entschieden haben, an tschechischen Universitäten zu studieren. Ob nun ein Zufall, ein langgehegter Wunsch oder einfach das Gefühl, mehr erreichen zu können; sie alle sind sich in einem einig: Sie sind der Meinung, dass tschechische Universitäten um einiges besser als slowakische sind und dass sie einen gute Ausgangsbasis für das zukünftige Leben bieten. Die Auffassung, dass der Westen besser ist, auch wenn dies nur Reste des kommunistischen Denkens sein sollten, ist noch immer ein überzeugendes Argument für viele Studierende, die sich an tschechischen Universitäten bewerben.

Wanda: „Ich habe nicht das Gefühl, zu dem Land zu gehören, in dem ich geboren wurde. Vielmehr fühle ich mich dem Land zugehörig, in das ich mich zu gehen entscheide.“

„Ich erinnere mich daran, wie ich mit 6 Jahren mit einer tschechischen Fahne durch die Wohnung gerannt bin”, sagt Wanda, ein slowakisches Mädchen, das an der Mendel Universität in Brünn studiert. Sie hat schon immer mit der Tschechischen Republik sympathisiert, aber der wahre Grund für ihre Entscheidung waren die besseren Bildungschancen. „Das tschechische Schulsystem hat ein höheres Niveau als das slowakische, und ich rede nicht nur von der Masaryk Universität in Brünn oder der Charles Universität in Prag“, meint Wanda. „Ich glaube, dass tschechische Universitäten generell besser sind als slowakische“.

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Wanda ist eine von 13.000 Slowakinnen und Slowaken, die sich dazu entschieden haben, ihre Heimat nach ihrem Schulabschluss zu verlassen, um ihr Universitätsstudium im Nachbarland Tschechien zu beginnen. Es ist lachhaft zu glauben, Tschechien würde von einem slowakischen Blickwinkel als „fremdes Land“ wahrgenommen werden. Außerdem fühlen die Slowakinnen und Slowaken sich hier zuhause.

„Ich fühle mich hier nicht fremd. Vielleicht liegt es daran, dass wir zuhause immer tschechische Nachrichten und Filme geguckt haben, und ich auch immer tschechische Bücher gelesen habe. Ich bin mit der tschechischen Sprache aufgewachsen“, sagte Wanda. Als sie in der Tschechischen Republik ankam, blieb ihr ein Kulturschock deshalb erspart.

Wanda gehört zu den Studierenden, die nicht vorhaben, in ihr Heimatland zurückzukehren. „Meine Eltern meinen, dass es in der Slowakei nicht vorangeht. Seit ich klein war haben sie mir immer gesagt, dass die Welt riesig ist und ich reisen soll.“

Trotz der Tatsache, dass alle slowakischen Kinder und auch einige tschechische bilingual erzogen werden, werden die slowakischen Kinder von ihren tschechischen Mitschülerinnen und Mitschülern manchmal missverstanden. Die ganze Kindheit lang schauen slowakische Kinder Trickfilme auf Tschechisch, und als Jugendliche dann tschechische Serien. Auch Bücher werden aus dem Tschechischen in das Slowakische nicht mehr übersetzt. Slowakinnen und Slowaken verstehen quasi alles, wenn jemand mit ihnen auf Tschechisch spricht. Auf der anderen Seite der Kommunikation gestalten sich die Dinge jedoch nicht ganz so einfach. Menschen aus Mähren haben kein Problem damit, Slowakisch zu sprechen, aber wenn man Slowakisch mit einer tschechischen Person aus Böhmen spricht, können einige Sprachbarrieren entstehen, wie u.a. bei den Wörtern „Heidelbeere“ (čučoriedka auf Slowakisch, borůvka auf Tschechisch), „Tintenfleck“ (machuľa auf Slowakisch, kaňka auf Tschechisch) oder einigen nützlichen Ausdrücken wie „Drucker“ (tlačiareň auf Slowakisch, tiskárna auf Tschechisch).

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„Manchmal stoße ich auf Wörter, die sich unterscheiden. Ich studiere Pharmazie, also geht es hauptsächlich um spezifische pharmazeutische Termini, die ich mir merken muss“, erklärt Dominika Lenciová, die Tierheilkunde und Pharmazie an der Universität studiert. „Ich erinnere mich noch daran, wie mich am Anfang des Jahres einige aus meinem Kurs nicht verstanden haben, als ich sagte, ich sei durstig (Som smädná auf Slowakisch, Mám žízeň auf Tschechisch), außerdem kannten sie Wörter wie „Kamel“ (ťava auf Slowakisch, velbloud auf Tschechisch) oder „Schildkröte“ (korytnačka auf Slowakisch, želva auf Tschechisch) nicht, und sie lachten mich aus, als ich sagte, dass ich etwas ausdrucken gehen würde (korytnačka auf Slowakisch, želva auf Tschechisch)“, erzählte sie weiter, mit einem Lächeln auf den Lippen.

Ein bilaterales Abkommen zwischen den beiden Ländern macht es den Slowakinnen und Slowaken leichter, in der Tschechischen Republik zu studieren. Dieses Abkommen garantiert die gleichen Bedingungen für tschechische und slowakische Studierende. Alle Essays und schriftlichen Arbeiten können auf Slowakisch verfasst werden. Darüber hinaus können Prüfungen und Tests auf Slowakisch abgelegt werden. „In meinen Kursen sind einige tschechische Studierende, und ich komme sehr gut mit ihnen klar, manchmal sogar besser, als mit meinen slowakischen Kommilitoninnen und Kommilitonen“, lacht Dominika, und sie fügt sogar hinzu, dass keinerlei Diskriminierung untereinander stattfindet. „Die Dozierenden gehen mit allen gleich um, unabhängig davon, ob es slowakische oder tschechische Studierende sind. Einer unserer Dozenten versucht dieses Jahr sogar, Slowakisch mit uns zu sprechen“, erklärte Dominika sehr dankbar.

Dominika kam aufgrund ihrer Vision einer besseren Zukunft in die Tschechische Republik. „Ich entschied mich hauptsächlich wegen der Qualität der Universitäten dazu, zum Studieren nach Tschechien zu gehen. Vor allem in den Naturwissenschaften hat Tschechien ein viel höheres Unterrichtsniveau. In meinem Heimatland wird kaum in Wissenschaften investiert, und dies ist einer der Gründe, weshalb das Studium hier um einiges vielversprechendere Jobchancen bietet. Wenn ich nach meinem Abschluss planen werde, in die Slowakei zurückzugehen, dann tue ich das des Erfolgs wegen“, sagt Dominika, die ein zweites Zuhause in Brünn hat.

Brünn ist das Mekka für slowakische und tschechische Studierende

Die Masaryk Universität in Brünn ist eine der beliebtesten Universitäten in der Tschechischen Republik. Vor allem aufgrund der fortschrittlichen und modernen Methoden kann sie sich mit der angesehenen Charles Universität in Prag messen.

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„Ich habe mich aus praktischen Gründen für die Masaryk Universität entschieden. Die Fakultät der Medienwissenschaften war die einzige Journalistikfakultät in der Gegend, die nicht als Aufnahmebedingung hat, dass man vorher schon Artikel publiziert haben muss“, erklärte Matúš Frančiak lächelnd. Die Gleichbehandlung slowakischer und tschechischer Bewerberinnen und Bewerber ist einer der Gründe, weshalb sich so viele Slowakinnen und Slowaken an tschechischen Universitäten bewerben. Der Learning Potential Test, ein standardisierter Test, der Teil des Zulassungsverfahrens für einige universitäre Institutionen in englischsprachigen Ländern ist, stellt nur einen Teil der Aufnahmeprüfungen dar. Mit diesem Test wird das analytische, kritische, sprachliche sowie räumliche Denken geprüft. Dieses Verfahren stellt sicher, dass die Universitäten nur Studierende zulassen, die sich Gedanken machen und Probleme lösen können. Die Masaryk Universität ist zur Wunschuniversität vieler slowakischer Schulabgängerinnen und -abgänger geworden.

Brünn, die Stadt, in der die Masaryk Universität liegt, versprüht um eines mehr Charme als die Hauptstadt Prag. Zusätzlich zur C gibt es in der Stadt eine Handvoll anderer Universitäten, die die mährische Metropole zu einer wahrhaften Studentenstadt machen. Dies ist eindeutig dadurch bewiesen, dass die Stadt im Sommer wie leergefegt ist. Doch von September bis Juni gehört sie den Studierenden. Das reizt nicht nur mehr und mehr Studierende aus der Tschechischen Republik und der Slowakei, ihr Studium auch hier zu beginnen, sondern spricht auch Menschen vieler anderer Nationalitäten an. Um dies in Relation zu setzen: Von den ca. 36.000 Studierenden und mehr, die sich jährlich an der Masaryk Universität bewerben, sind 16% slowakischer Herkunft.

Auch die Studierenden Wanda, Dominika und Matúš blicken nicht zurück und haben nicht vor, in naher Zukunft in ihre Heimat zurückzukehren. „Nach ein paar Monaten Praktikumserfahrung in Bratislava bereue ich nicht, mich für ein Leben in Tschechien entschieden zu haben. Ich bin optimistisch, dass das die richtige Entscheidung war“, bekräftigt Matúš.

[crp]

Autorin

Eva Lalkovičová (Slowakei)

Studium: Medienwissenschaften und Journalismus / Spanische Sprache und Literatur

Sprachen: Tschechisch und Slovakisch natürlich, Spanisch, Englisch, einen Fingerhut voll Katalan und Französisc

Europa ist… der beste Ort, um dort geboren zu werden und zu leben, ein unglaublicher Mix aus Leuten und Kulturen.

Übersetzung

Margarita Lerman (Ukraine/Deutschland)

Studium: B.A. Translation

Sprachen: Spanisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Russisch

Europa ist ein wundervoller erster Schritt, um Solidarität zu zeigen – und das über nationalstaatliche Grenzen hinweg.

Übersetzung

Anja Meunier (Deutschland)

Studium: Mathematik und Wirtschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch

Europa hat… schöne Länder, interessante Leute, einen tollen Lebensstil.Und die Notwendigkeit zusammen zu halten.

500px: Anja Meunier

Author: Anja

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