Polyamorie – Drei Sichtweisen

Die Idee der Polyamorie taucht in letzter Zeit immer wieder in den Medien auf. Der Grundgedanke: Mehr als eine Beziehung. Aber was bedeutet das für die Beteiligten konkret, wie fühlt es sich an –  und wie kommt man überhaupt dazu?

Mehrere Menschen lieben – eigentlich kein Problem. In Familien funktioniert es und auch von Freundschaften kann man mehr als eine haben. Doch sobald es um Beziehungen geht, werden viele skeptisch. Ob es da auch mehr als eine geben kann? Leute, die polyamor leben, sehen darin kein Problem.

Dass “Polyamorie” sich aus dem griechischen Wort für “viel” (poly) und dem lateinischen Wort für “Liebe” (amor) zusammensetzt, kann man auch bei Wikipedia nachschauen. Aber das wirklich Interessante fällt unter den Tisch: Wie fühlt es sich an, wenn man mehrere Partner hat? Wenn der eigene Freund  mit anderen Frauen schläft? Warum machen Menschen so etwas?

Das Grundkonzept (die Möglichkeit von “viel Liebe”) steckt im Wort selber. Doch wie es letztendlich ausgelebt wird, hängt von jeder und jedem Einzelnen an – lassen wir also die Einzelnen zu Wort kommen.

20131111 - Polyamorie 1

Foto: Privat

“Andere besitzen und kontrollieren zu wollen, ist unfair und egoistisch”

Daniela (Name geändert), 31, Hamburg

Alle meine bisherigen Beziehungen waren monogam. Ich hatte von dem Konzept nicht-monogamer Beziehungen (außerhalb eines religösen Kontexts) nie gehört, bis ein Freund, der an einer Beziehung mit mir interessiert war, mir erzählte, wie er seine Beziehungen führte. Ich war fasziniert und dachte mir “Warum nicht?” Aus “Warum nicht” wurde irgendwann “Hey, das funtioniert tatsächlich!”. Ich bin momentan ein “Blatt” im Kontext polyamorer Beziehungen, das bedeutet, dass mein Partner viele Partner hat.

Ich selber habe nur eine Beziehung und hatte auch in der Vergangenheit nie mehr als einen Partner, bin dem gegenüber aber aufgeschlossen. Die Menschen in meinem Leben ordne ich aber nicht nach irgendeiner Rangordnung ein, alle sind einzigartig und wichtig auf ihre eigene Art und Weise. Ich denke, dass sich auch meine Beziehungen, falls ich mehr als eine hätte, voneinander unterscheiden würden wie verschiedene Menschen es eben tun. Höchstens aus praktischen Gründen könnte es sein, dass irgendwann jemand bevorzugt wird, zum Beispiel im Fall von Krankheit oder zum Großziehen von Kindern.

Durch die Beschäftigung mit Polyamorie wurde ich mit der Idee konfrontiert, dass jede und jeder Einzelne zählt. Das Verlangen, einander zu besitzen oder die Handlungen und Vorlieben des Andere zu kontrollieren, ist extrem unfair und egoistisch. Polyamorie zwingt Menschen in einer Beziehung so dazu, auf vielen verschiedenen Ebenen gut miteinander zu kommunizieren.

Eifersucht ist keine Herausforderung, die zur Polyamorie gehört, sondern auch in anderen Kontexten wie Beruf, Freundschaft oder Monogamie vorkommt. Sie hat ihren Ursprung in Unsicherheit, dem Gefühl, dass man “ersetzt wird” oder “nicht gut genug” ist. Auch, wenn gute Kommunikation unerlässlich ist, um viele dieser Unsicherheitsgefühle zu mindern, braucht man auf jeden Fall ein gewisses Selbstvertrauen, um sich im Kontext polyamorer Beziehungen wohl zu fühlen. Ich selber bin auch manchmal eifersüchtig, aber dann versuche ich, zu verstehen, woher diese Gefühle kommen, indem ich mit meinem Partner darüber rede.

In der Vergangenheit wurde ich oft mit sehr abwertenden Reaktionen konfrontiert, was die Art meiner Beziehungen angeht. Da gibt es Annahmen wie die, dass ich mich nicht zu einer “richtigen” Beziehungen verpflichten kann, dass meine Beziehungen “unnatürlich” sind oder dass ich einfach “rebellisch” sein möchte. Der Großteil meines Freundeskreises und meiner Familie weiß nicht, dass ich in einer polyamoren Beziehung lebe und ich habe immer noch einige Bedenken, wenn es darum geht, mit Leuten, die nicht Teil des “poly circles” sind, über die Art meiner Beziehungen zu reden.

Im Prinzip ist die Entscheidung, poly zu leben, aber keine Frage des Lifestyles, sondern eine moralische Frage: Ich will niemanden “besitzen” und glaube nicht, dass mein Partner mir gehört. Ich will letztendlich, dass mein Partner tut was ihm/ihr Freude macht, und wenn das heißt, mit anderen Partnern zu sein, ist das auch in Ordnung.

“Es ist doch viel schlüssiger: Alle Beteiligten haben ein erfüllteres Leben”

Matthias, 30, Hamburg

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Foto: Privat

Es muss vor etwa zehn Jahren gewesen sein: Ich stolperte über einen Artikel oder Blogpost, der das beschrieb, was ich schon lange lebte, und es „Polyamory“ nannte. Ich dachte nur: „Oh, so heißt das also.“

Ich lebte fast von Anfang an poly, ich wusste nur erst nicht, dass es so heißt. Ich habe einfach nie verstanden, warum man in einer Form von Beziehung nur eine Person lieben dürfen soll, aber z.B. mehrere Familienmitglieder „lieben“ darf oder beliebig viele Freunde haben kann. Irgendwann war ich in einer Beziehung, lernte diese andere tolle Frau kennen, die auch recht aufgeschlossen war und in Bezehungsfragen ähnlich dachte – und so probierten wir es aus.

Für mich unterscheiden sich meine verschiedenen Beziehungen vor allem dadurch, dass sie mit verschiedenen Menschen sind. Das klingt banal, aber jeder Mensch ist einzigartig und im Umgang mit unterschiedlichen Menschen lerne ich viel über mich, über sie und andere interessante Dinge. Ich teile einfach viele Leben, und das sind oft tolle Erfahrungen, die ich alleine nie gemacht hätte. Manche Beziehungen stechen wegen äußerer Umstände hervor – gleiche Stadt, Zusammenleben etc. – während ich für andere weniger Zeit habe. Ich würde aber nicht sagen, dass mir bestimmte Beziehungen wichtiger sind als andere.

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Foto: Privat

Polyamorie erschien und erscheint mir immer noch schlicht viel schlüssiger als andere Beziehungskonzepte. Man spart sich das ganze Drama mit Eifersucht und Besitzansprüchen und alle Beteiligten haben ein erfüllteres Leben, weil man sich mit den anderen freuen kann, niemand alleine immer alle Bedürfnisse abdecken kann, oder weil es einfach die Chancen erhöht, dass ein*e Partner*in gerade Zeit hat.

Eifersucht halte ich für sinnlos und egoistisch und habe sie nie ganz verstanden. Andere Menschen sind eigene Persönlichkeiten, an die ich nicht den Anspruch stellen kann, dass sie nur für mich da sind. Außerdem definiere ich mich nicht darüber, was andere für mich empfinden. Ich freue mich über die Zeit, die ich mit großartigen Menschen verbringen kann, und wünsche ihnen, dass sie so glücklich wie möglich sind. Wenn das mit anderen Personen gerade besser geht, ist das doch total okay.

Die Herausforderungen sind meiner Meinung nach vor allem Zeit und Raum: Wenn man Vollzeit arbeitet, hat man weniger Freizeit und kann diese weniger flexibel nutzen. Wenn nicht alle Partner*innen in der selben Stadt leben, sind Treffen je nach Distanz ein größeres logistisches Problem. Das kann frustrierend sein, wird aber durch heutige Kommunikationsmittel etwas gelindert.

Wenn andere Leute mitbekommen, dass ich poly lebe, reagieren die meisten positiv und fragen mich darüber aus. Allerdings habe ich als weißer, halbwegs heterosexueller Mann auch einen riesigen Vorteil, weil mehrere gleichzeitige Beziehungen eher positiv bewertet werden – Frauen haben da leider einen schwereren Stand. Die negativsten Reaktionen bei mir waren eher von der Sorte „Also für mich wäre das ja nichts“. Ich gehe aber auch recht offen damit um, sodass Menschen, die es für total bescheuert halten, sich vielleicht gleich fern halten.

“Es ist, als ob man ein paar zusätzliche Sinne geschenkt bekommt”

Johannes, 35, Berlin

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Foto: Privat

Als ich das erste Mal von Polyamorie gehört habe, konnte ich mir wenig darunter vorstellen. Dann lernte ich eine Frau kennen, die mir bei unserem ersten Treffen erklärte, dass sie poly lebt. Für mich war das verwirrend: Wie kann man mit unterschiedlichen Menschen gleichzeitig zusammen sein? Ich weiß noch, wie sie mir von einer Partnerin erzählte, die sich über den gemeinsamen Ex-Partner aufregte und meinte, dass Poly doch manchmal Mist sei. Meine Bekanntschaft entgegnete ihr: “Poly ist nicht das Problem. Er ist das Problem.” Ich hab damals verstanden, dass Poly-Beziehungen sicherlich nicht die einfachste Form von Beziehungen sind. Sie sind hoch komplexe Beziehungsnetzwerke, bei denen alle Beteiligten sich verantwortungsvoll und ehrlich verhalten müssen.

Ich selber wollte damit aber nichts zu tun haben. Poly hatte für mich immer diesen Beigeschmack von ‘sich nicht festlegen’ wollen. Entgegen meiner Bedenken kam es anders: Ich lernte eine Frau kennen, die ich auf den ersten Blick großartig fand. Ich bemerkte aber, dass sie in männlicher Begleitung war. “Tja”, dachte ich, “besetzt” – bis diese Frau anfing, sehr deutlich mit mir zu flirten. Ein paar Tage später hatten wir schon die erste gemeinsame Verabredung. Sie gab mir schnell zu verstehen, dass sie poly lebte. Und mir war klar, dass sie sich nicht auf eine monogame Beziehung einlassen würde. Also entschloss ich mich, das mal auszuprobieren.

Für mich stand fest, dass ich das vor allem machte, weil ich mich so zu dieser Frau hingezogen fühlte. Es gab einfach keine andere Möglichkeit. Gleichzeitig war ich aber auch neugierig. Die Beziehung hielt leider nur ein knappes Jahr, aber es war trotzdem eine intensive Zeit, in der ich viel über mich selbst gelernt habe.

Letztendlich ist es mit den verschiedenen Beziehungen wie bei Freundschaften: Auch, wenn ich manche aus Zeitmangel mal etwas ruhen lasse oder man weit von einander entfernt lebt, ist mir jede wichtig, weil jede einzigartig ist. Bei meinen Poly-Erfahrungen war das ähnlich, nur kamen da noch Sex und viel mehr Intimität dazu. Gleichzeitig wurden die Abstufungen feiner: Sex ist nicht gleich Sex, und Intimität nicht gleich Intimität. Mit jeder dieser Frauen war das körperliche und emotionale Empfinden anders.

Das Besondere an Polyamorie ist für mich das grundlegende Prinzip der Offenheit: Ich bin ungebunden und gleichzeitig fest gebunden. Es ist, als ob man ein paar zusätzliche Sinne geschenkt bekommt, die es einem ermöglichen, Menschen nochmal auf eine ganz neue Weise kennenzulernen. Gleichzeitig hat diese Offenheit mein Verhältnis gegenüber Frauen verändert: Wenn ich heute eine Frau attraktiv finde, empfinde ich das als einen Ausdruck größter Wertschätzung und Bewunderung. Es ist mir nicht unangenehm, im Gegenteil! Und ich habe das Gefühl, dass ich das auch ausstrahle.

Eifersucht ist ein Problem, das stimmt. Aber eines, dass man lösen kann. Für mich war das der erste große Konflikt, mit dem ich umgehen musst: Meine Freundin war mit einem anderen Partner verabredet, und ich wusste, dass sie miteinander schlafen würden. Ich war rasend vor Eifersucht! Dann hab ich mich gefragt, warum mir das so an die Nieren geht. Muss ich wirklich eifersüchtig sein? Ist das etwas, das ich empfinden will? Eigentlich ist es nur extremer Neid. Muss ich neidisch sein? Dabei ist mir auch klar geworden, dass Eifersucht viel mit persönlicher Unsicherheit zu tun hat. Dann habe ich meine Freundin mal mit ihrem anderen Partner zusammen erlebt und das sah sehr liebevoll aus. Mein Neid verschwand, stattdessen habe ich mich für sie gefreut.

Ich glaube auch, dass viele sich Poly-Beziehungen komplizierter vorstellen, als sie es wirklich sind. Ja, es kann kompliziert werden und verdammt weh tun. Aber das ist bei allen Beziehungen so, wenn man Menschen aufrichtig liebt.

Ich bin mir allerdings gar nicht so sicher, ob ich wirklich poly bin. Es gibt Aspekte, ohne die ich nicht mehr leben möchte. Trotzdem habe ich das Bedürfnis nach einer Partnerin, mit der ich mehr Zeit als mit anderen verbringe kann. Aber das Schöne an Poly-Beziehungen ist ja, dass man vieles gar nicht definieren kann – ich werde es also einfach auf mich zukommen lassen und schauen, wie es sich anfühlt.

[crp]

Autorin

Katharin Tai (Deutschland/Frankreich)

Studiert: Euro-asiatische Beziehungen/Völkerrecht

Spricht: Deutsch, Englisch, Französisch, Chinesisch, Japanisch, Schwedisch.

Europa ist… ein faszinierender Ort, der darauf wartet, entdeckt zu werden.

Blog: www.gedankenstiele.wordpress.com

Twitter: @Whitey_chan

 

 

Author: Anja

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3 Kommentare

  1. “Drei Sichtweisen” … ich hatte unter diesem Titel mit etwas anderem gerechnet als “Dreimal die gleiche Sichtweise: Poly ist super!” – leider ist das hier aber nur undifferenziert und es wird auch nicht auf die zahlreichen Probleme und Schwierigkeiten eingegangen die dieser Lebensstil mit sich bringt (z.B. Kindererziehung, Eheschließung, STDs, etc. ) … also war der Titel nur Effekthascherei. Schade!

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