Liebe | MH Deutsch https://de.meetinghalfway.eu Wo Europa sich trifft Sun, 29 Jul 2018 14:21:37 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.4 Ist Couchsurfing zu einem Tinder für die Boheme geworden? https://de.meetinghalfway.eu/2017/09/ist-couchsurfing-zu-einem-tinder-fur-die-boheme-geworden/ https://de.meetinghalfway.eu/2017/09/ist-couchsurfing-zu-einem-tinder-fur-die-boheme-geworden/#respond Sat, 09 Sep 2017 09:56:29 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=1500 Einheimische, die eine Gratisunterkunft und nette Gesellschaft an einem wunderschönen Urlaubsort anbieten? Klingt nach dem Traum jedes Backpackers. Aber ist das immer noch so?

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Einheimische, die eine Gratisunterkunft und nette Gesellschaft an einem wunderschönen Urlaubsort anbieten? Klingt nach dem Traum jedes Backpackers. Aber ist das immer noch so?

Von Iris Pase / 9.9.2017

Couchsurfing ist eine weltberühmte Website für die Vermittlung von Unterkünften und ein soziales Netzwerk mit mehr als 14 Millionen Mitgliedern, eine Zahl, die täglich steigt. Wie der Name vermuten lässt, gibt die Seite ihren Mitgliedern die Möglichkeit, Gastgeber zu werden oder im Haus eines anderen Mitglieds als Gast zu übernachten – vielleicht auf dessen Couch – und somit direkt mit Einheimischen in Kontakt zu kommen. Außerdem kann man auch einfach nur neue Leute treffen oder Events besuchen, die von der lokalen Couchsurfing-Community organisiert wurden, wenn man nicht gleich die Unterkunft mit einem Fremden teilen möchte.

Die Philosophie hinter dem Projekt fördert den kulturellen Austausch, indem sie das Beste aus der ältesten aller Weisheiten macht: “Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Tier”. Es gibt wohl tatsächlich keine bessere Art und Weise, einen neuen Ort zu erkunden und kennenzulernen, als sich mit dessen Einheimischen zu treffen, in einer gemütlichen Atmosphäre und neuen Umgebung Erfahrungen und Ideen zu teilen und damit eine Verbindung zwischen Menschen zu schaffen, die andere Lebenseinstellungen verstehen möchten.

Foto: flickr (ephidryn)

Aber wie ist Couchsurfing eigentlich entstanden?

Im Jahr 1999 hatte der junge Programmierer Casey Fenton, damals 25, einen billigen Flug nach Island gebucht; allerdings brauchte er noch eine Bleibe. Er wollte nicht auf die gängigen Übernachtungsmöglichkeiten zurückgreifen und so versuchte er sein Glück und mailte über 1500 isländische Studenten an mit der Frage, ob ihn jemand bei sich auf der Couch schlafen lassen würde. Fenton hatte Glück und bekam viele Antworten, wobei er erfreut feststellte, dass die Studenten ihm nicht nur eine Couch, sondern auch eine Tour durch ihr Reykjavík anboten. Sein Aufenthalt war so fantastisch, dass er ‘Couchsurfen’ zu seiner neuen Standardart zu reisen machte.

Ein paar Jahre später schaffte er es, seine Erfahrung in eine gemeinnützige Organisation sowie eine Website umzuwandeln und damit eines der berühmtesten Beispiele der Sharing Economy zu kreieren. Allerdings konnten wegen des gemeinnützigen Status von Couchsurfing nicht genug Ressourcen für die Bearbeitung der Flut von neuen Nutzern generiert werden, was zu zahlreichen technischen Problemen führte.

Da Couchsurfing sich ohne Spenden nicht selbst aufrechterhalten konnte, akzeptierte die Seite 7,6 Millionen Dollar von den Risikokapitalgebern Benchmark Capital und Omidyar Network und wurde – wie Fenton es selbst ausdrückte – zu einer B Corporation, also einem Unternehmen, das geschäftliche Mittel dazu verwendet, gemeinnützige Ziele zu verwirklichen. Ein Jahr später erhielt die Firma eine weitere 15-Millionen-Dollar-Spende, was es ihr ermöglichte, Innovationen umzusetzen und neue Dienstleistungen anzubieten; auch wenn die finanziellen Probleme gelöst waren, kündigten sich neue Schwierigkeiten an.

Couchsurfing oder … Sexsurfing? Ist dies das Ende von “unschuldigen Couchsurfern”?

“Wir haben alles getan was Erwachsene tun würden. Was ist schief gelaufen?”
― William Golding, Herr der Fliegen

Seit der Umwandlung in eine gewinnorientierte Organisation hat die unablässige Vergrößerung der Community offensichtlich das Ende von Couchsurfings Unschuld eingeläutet: Zahlreiche neue Benutzer halten sich nicht an die Philosophie des Teilens und haben vielmehr eine “Do-ut-des-Attitüde”, wobei sie oft Sex als Gegenleistung für die Bereitstellung einer Unterkunft erwarten.

Durch eine einfache Google-Suche nach dem Begriff “Couchsurfing” oder die Lektüre einiger Reiseblogposts zu dem Thema, wird man schnell erkennen, wie sich die Plattform zu einer Dating-Website entwickelt hat. Ich spreche hier nicht von Gelegenheitssex zwischen einem Gast und dessen Gastgeber und ich würde niemals einen einvernehmlichen Akt zwischen zwei erwachsenen Menschen kritisieren. Das Problem, das ich ansprechen möchte, ist die Tatsache, dass “Leute dieses Portal dazu verwenden, nach Frauen für kostenlosen Sex zu jagen und umgekehrt”, um es mit den Worten der Reisebloggerin Agnes Walewinder zu sagen. Couchsurfing sollte ein sicherer Hafen für alternative Reisende sein, entwickelt sich aber immer mehr zu Sexsurfing, was Reisende, besonders weibliche Backpacker, davon abschreckt, es zu benutzen, da sie Angst haben, sexuell belästigt, vergewaltigt oder sogar ermordet zu werden. 

Als wäre das noch nicht genug, wimmelt die Seite jetzt von sogenannten Pick-Up-Artists, Leuten (normalerweise Männern, aber nicht ausschließlich), die sich darauf spezialisiert haben, Sexualpartner anzulocken oder gewohnheitsmäßig zu verfolgen: Gibt es einen besseren Weg, die Objektivierung und Herabwürdigung von Frauen zu verfestigen?

Nehmen wir zum Beispiel John Mavericks Artikel “How to seduce naughty Couchsurfing girls” und “8 signs of a naughty Couchsurfing girl.”. Der Autor behauptet, Couchsurfing beigetreten zu sein, um “Mädels zu ficken” und er teilt seine “Expertise”, um anderen Männern zu helfen, die Probleme haben, Frauen flachzulegen. Statt sich dem anderen Geschlecht auf eine gesunde und respektvolle Weise zu nähern, basieren Mavericks Techniken offensichtlich auf Unterwerfung und Täuschung, was Frauen wie Beute erscheinen lässt, die man(n) am besten jagt, indem man(n) ihre scheinbare Promiskuität und Frivolität ausnutzt. Beide Artikel repräsentieren den Inbegriff von Soziopathie, männlichem Chauvinismus und Misogynie, ganz zu schweigen von einem Rassismus der stumpfesten Sorte. Ich zitiere: “Während einige Nationalitäten einfacher rumzukriegen sind als andere, haben diese Länder (z. B. Frankreich, Finnland und Polen) etwas an sich, das Frauen hervorbringt, die fast immer ein garantierter Fick sind.”

Leider ist das kein Einzelfall: Business Insider beschrieb Couchsurfung als “größte Aufreiß-App, die jemals entwickelt wurde”, während Aufreiß-Guides immer häufiger gepostet werden und gleichzeitig Websites wie ‘Couchbangs’ auftauchen, eine Sammlung von sexuellen Begegnungen von Couchsurfing-Gastgebern, die ihre Gäste – seien sie männlich oder weiblich – ins Bett gekriegt haben.

Backpacker. Foto: flickr (Garry Knight)

Ist das das Ende von Couchsurfing?

Ist es noch möglich, die Seite sicher zu nutzen oder sollten wir uns eine andere Plattform wie HospitalityClub, Trustroots oder Be Welcome suchen?

Couchsurfing ist sicherlich gefährlicher als zuvor, aber dessen Community besteht immer noch aus zahlreichen guten und aufrichtigen Menschen, die das Reisen lieben; deshalb würde ich niemandem dazu raten, die Community zu verlassen. Wenn alle respektablen Mitglieder gehen, wäre außerdem der Übergang zu einer Dating-Website vollzogen und das dürfen wir nicht zulassen. Couchsurfing hat es vielen Reisenden ermöglicht, ihre Träume zu verwirklichen und das kann es immer noch, wenn wir die Leute dazu ermutigen, es im ursprünglich gedachten Sinne zu nutzen.

Daher ist es für uns unabdingbar, im Voraus zu verstehen, ob man einem Gastgeber vertrauen kann. Wir müssen uns über unser Reiseziel und mögliche Ausweichunterkünfte informieren; darüber hinaus kann es nützlich sein, sich Charakteristika zu vergegenwärtigen, die häufig bei Pick-Up-Artists und eventuellen sexuellen Angreifern zu finden sind. Um ein bisschen Licht in diese Angelegenheit zu bringen, werden wir heute mit Hannah sprechen, einer erfahrenen, abenteuerlustigen Couchsurferin, die ihre guten und schlechten Erfahrungen mit uns teilen und uns ein paar Tipps geben wird, wie wir auf der sicheren Seite bleiben.

Meeting Halfway: Hi Hannah, willkommen und danke, dass du dir Zeit für uns nimmst. Lass uns ganz am Anfang beginnen. Wie hast du Couchsurfing entdeckt?

Hannah: Hallo! Naja, ich bin allein durch die Welt gereist, seit ich 18 war, und ich habe schnell gelernt, wie wichtig es ist, beim Backpacking auf sein Budget zu achten. Außerdem habe ich gelernt, wie außergewöhnlich ein Ort wird, wenn man ihn mit einem Einheimischen besichtigt. Ich weiß nicht mehr genau, wer mir von Couchsurfing erzählt hat, aber ich wollte unbedingt nach Indien und bei einem Einheimischen übernachten und deshalb habe ich mich angemeldet und der Rest ist Geschichte.

MH: Wie cool! Du warst sehr mutig, als du alleine in ein Land wie Indien gereist bist, vor allem, weil es ja generell als gefährliches Land für alleinreisende Frauen gilt. Da wir gerade davon reden: Hast du während deiner Couchsurfing-Zeit irgendwelche Schwierigkeiten wegen deines Geschlechts erlebt, vielleicht beängstigende Situationen oder Personen?

H: Da gab es ein paar Situationen, wo ich wusste, dass der Typ Sex erwartete. Als ich einmal durch Schottland gereist bin, war da dieser Typ, bei dem ich mich sehr unsicher gefühlt habe. Er wirkte normal in dem Café, wo wir uns getroffen haben; dann nahm er mich mit in seine Wohnung mitten im Nirgendwo und benahm sich sehr komisch. Als Erstes bemerkte ich seinen Margaret-Thatcher-Schrein. Er meinte, er würde Nudeln für mich kochen und steckte buchstäblich ungekochte Spaghetti mit Tomatensoße darauf in die Mikrowelle. Er erzählte mir, er wäre ein Geist und fragte, ob ich ein Geist werden wollte. Er meinte, viele Couchsurfer würden es miteinander treiben und als ich sagte, dass ich kein Interesse hätte, versuchte er mir einzureden, ich wäre dumm, weil ich ihn beschuldigte, mich angemacht zu haben. Er fragte mich, ob ich Tee wollte und schloss die Küchentür, während er ihn zubereitete, also habe ich nichts davon getrunken. Ich habe die Nacht über keine Sekunde geschlafen und bin abgehauen, sobald die Sonne aufgegangen war. Das Einzige, was er noch sagte, war, dass ich ihm “eine gute Rezension schreiben” sollte.

MH: Vollkommen verrückt, und die Angst, die du da gehabt haben musst! Die Mehrheit der missbrauchten oder bedrohten Frauen meldet ihren Gastgeber nicht, um keine schlechte Rezension auf Couchsurfing zu kriegen. Was hast du gemacht? Hast du ihn gemeldet oder eine schlechte Rezension geschrieben?

Hannah in Schottland. Foto: Privat

H: Ich hatte ihm zwei Tage lang keine Rezension geschrieben (denn ich war mit Trampen und Erkunden beschäftigt, hatte keinen Moment Zeit, mich hinzusetzen und das zu tun) und er schrieb ein falsche, bösartige Rezension, wie ich IHN ausgenutzt hätte. Ich meldete ihn bei Couchsurfing und erzählte ihnen, was er getan hatte und ich glaube, seine Seite ist gelöscht worden. Oder vielleicht hat er sie selbst gelöscht, denn sie war auf jeden Fall nicht mehr da. Monate später habe ich eine Nachricht von einem Typen auf Couchsurfing mit demselben Nachnamen wie ich (!!) bekommen – keine Fotos oder Rezensionen -, in der er mich eine verzogene hässliche Schlampe nennt. Ich schrieb ihm, er solle sich um seinen Kram kümmern und habe ihn geblockt; hab nie wieder was von ihm gehört.

MH: Leider bist du nicht die Einzige, die eine schlechte Rezension von ihrem eigenen “sexuellen Angreifer” bekommen hat. Du warst mutig, als du ihn gemeldet hast, also hoffen wir mal, dass er niemand anderen mehr belästigt. Nach welchen Kriterien wählst du jetzt deine Gastgeber aus, besonders nach diesen unglücklichen Begegnungen?

H: Ich bin sehr wählerisch. Sie müssen viele Rezensionen haben. Mindestens 30. Und ich lese mir alle durch. Und wenn es nur Rezensionen von Frauen sind, ist das ein dickes Achtung-Schild und ich schreibe sie nicht an. Lest euch deren ganzes Profil komplett durch, denn so kann man leicht erkennen, ob jemand Mist erzählt. Schreibt ihnen mehr als einfach nur “Kann ich bei dir übernachten?” und ich treffe mich immer zuerst an einem öffentlichen, vielbesuchten Ort mit ihnen. Verbringt vielleicht die erste Nacht in einem Hostel und wenn ihr die Person während des Treffens vertrauenswürdig findet, könnt ihr immer noch die nächste Nacht bei ihr verbringen oder ihr habt einfach eine neue Freundschaft geschlossen.

MH: Viele Frauen ziehen es vor, nur bei Frauen zu übernachten; findest du das gut? Oder findest du, dass dabei ein großer Teil der Couchsurfing-Erfahrung auf der Strecke bleibt?

H: Ich persönlich mache das nicht so. Ich habe bei ein paar Frauen übernachtet und es war super, aber ich bin froh, dass ich das Risiko eingegangen bin, bei Männern zu übernachten, denn so habe ich einige tolle, platonische Freundschaften geschlossen. Ich habe noch nie mit einem Gastgeber rumgemacht oder mich dazu gezwungen gefühlt (der Schotte hat mir zwar Angst eingejagt, aber ehrlich gesagt hatte ich immer das Gefühl, leicht entkommen zu können, wenn er mich angefasst oder irgendwas Bedrohliches gesagt hätte. Es war meine Entscheidung, bis zum Morgen zu warten). Allerdings kann ich jemand anderem nicht sagen, wann er sich wohlzufühlen hat; wenn sich eine Frau also wohler dabei fühlt, nur bei anderen Frauen zu couchsurfen, würde ich nicht sagen, dass die Erfahrung ruiniert oder vergeudet wäre.

MH: Du scheinst Couchsurfing und die Möglichkeiten, die es bietet, wirklich zu lieben; warum sollte man deiner Meinung nach zumindest einmal in seinem Leben couchsurfen?

H: Für mich ist das Beste an Couchsurfing, dass man einen Ort durch die Augen eines Einheimischen sieht. Die können davon erzählen, wie es ist, in einer bestimmten Stadt/Region aufzuwachsen, über die Geschichte Auskunft geben oder einfach sagen, wie es wirklich ist, an dem Ort zu leben, den du besuchst. Ein großes Plus sind natürlich auch Geheimtipps für Restaurants oder das Nachtleben. Außerdem fühle ich mich als alleinreisende Frau beim Couchsurfen sicherer, als wenn ich in einem Hostel übernachten würde, denn du wirst von jemandem herumgeführt, der die Straßen, die Gepflogenheiten und die Menschen kennt. Wenn du wie ein verirrter Tourist durch die Gegend zuckelst, werden manchmal Taschendiebe auf dich aufmerksam oder du fühlst dich verwirrt und hilflos, vor allem, wenn es eine Sprachbarriere gibt. Couchsurfing kann einen fremden Ort zur Heimat werden lassen.

MH: Nach all den ungemütlichen Situationen oben sind wir endlich bei der schönen Seite von Couchsurfing angelangt. Warum beenden wir das Gespräch nicht mit deiner besten Couchsurfing-Erfahrung bisher?

H: Es ist schwer, die beste auszuwählen, ich hatte so viele tolle, aber es gibt da zwei wirklich unvergessliche. Die erste war in Sarajevo, die zweite in Gozo bei einem zirka fünfzigjährigen schwulen Mann. Er lebte allein in diesem großartigen, bungalowartigen Haus, das vollgestopft war mit allem möglichen Krimskrams, einer riesigen Bibliothek, recyceltem Wasser, Efeu, der draußen und drinnen wuchs und einem Dachbalkon. Als ich da war, hatte er insgesamt sechs Gäste, die in Etagenbetten und auf ausgezogenen Couches schliefen. Der Typ ist wirklich unglaublich, er kocht jeden Tag drei gigantische, warme, selbstgemachte Mahlzeiten. Umsonst! Er hat es einem leicht gemacht, tiefsinnige Gespräche über Geschichte, Politik, Religion oder das Leben zu führen und die Gespräche am Abendbrottisch waren inspirierend. Er hat nie irgendeine Gegenleistung verlangt. Einfach unglaublich. Ich muss ihm außerdem dafür danken, dass ich eine lebenslange Freundschaft mit einem anderen Couchsurfer geschlossen habe, der bei ihm übernachtet hat, als ich auch da war und wir halten immer noch den Kontakt.

Autorin

Iris Pase (Italien)

Studium: Geschichte und Philosophie

Sprachen: Italienisch, Englisch

Europa ist... wenn man einen anderen Europäer trifft und die gemeinsame Geschichte, Kultur und Mentalität spürt.

Blog: The Venetian Rover

Übersetzung

Birger Niehaus (Deutschland)

Studium: Deutsch / Skandinavistik

Sprachen: Deutsch, Englisch, Schwedisch, ein bisschen Isländisch und Finnisch

Europa ist … dieses Fleckchen zwischen Alaska und Västerås.

Blog: anseranser.blog

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Gleich, ganz gleich, quasi egal https://de.meetinghalfway.eu/2017/06/gleich-ganz-gleich-quasi-egal/ https://de.meetinghalfway.eu/2017/06/gleich-ganz-gleich-quasi-egal/#respond Wed, 28 Jun 2017 13:41:32 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=1438 Der Kampf für Gleichberechtigung in Europa ist noch lange nicht vorbei. In ihrem sehr persönlichen Text schreibt die Poetry Slammerin Veronika Rieger über das Gefühl, wenn die eigene Liebe als zweitklassig eingestuft wird, und lenkt den Blick auf die Scheinheiligkeit der immer wieder vorgebrachten Argumente.

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Endlich rückt auch in Deutschland die Ehe für alle in greifbare Nähe, nachdem sich in einer repräsentativen Umfrage 83% der Befragten dafür ausgesprochen haben und im Wahlkampf der Druck auf konservative Parteien wächst – ganze 16 Jahre nachdem das Nachbarland Niederlande 2001 als erstes Land der Welt die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnete.

Außer in den Niederlanden ist in Europa die gleichgeschlechtliche Ehe der Ehe zwischen Mann und Frau bisher in Belgien (2003), Spanien (2005), Norwegen (2009), Schweden (2009), Portugal (2010), Island (2010), Dänemark (2012), Frankreich (2013), im Vereinigten Königreich (ohne Nordirland) (2014), Irland (2015), Luxemburg (2015) und Finnland (2017) gleichgestellt. Das sind nur 13 der 49 Staaten, die geographisch Europa zugeordnet werden, und nicht einmal die Hälfte der Europäischen Union.

Der Kampf für Gleichberechtigung in Europa ist also noch lange nicht vorbei. In ihrem sehr persönlichen Text schreibt die Poetry Slammerin Veronika Rieger über das Gefühl, wenn die eigene Liebe als zweitklassig eingestuft wird, und lenkt den Blick auf die Scheinheiligkeit der immer wieder vorgebrachten Argumente.

Gleich, ganz gleich, quasi egal

Ein Gastbeitrag von Veronika Rieger / 28.6.2017

 
Ein Auszug: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 3
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Ich wache auf. Nachtdunkle Schatten, Drehung nach links, Freundin schläft. Drehung nach rechts, Handy – an: Meldung, Shooting in Gay Club Pulse in Orlando jährt sich zum ersten Mal. 49 Menschen sind noch immer tot. Welt dreht sich weiter, ich mich auf den Rücken.

Wecker piepst, Freundin schlägt Augen auf, Augenaufschlag später Kaffeegeruch, Sätze werden langsam länger. U-Bahn-Stationen ziehen im Minutentakt an mir vorbei, Schuhsohlen stampfen in hohen hohlen Unigängen den Trott des Alltags.

Alltagsstressstunden später den Briefkasten ausleeren. Die, ernsthaft, fünfte Hochzeitseinladung für diesen Sommer drin finden, erstmal noch nen Kaffee kochen, Briefumschlag öffnen:

Übertrieben geschnörkelte Schrift überfliegen, verdammt, da muss man ernsthaft ne Antwortkarte zurückschicken, Ankreuzmöglichkeiten:

               1 Ich komme gerne

               2 Ich komme mit meinem Freund

Ich komme nicht klar auf Variante 2 – Kaffeetassen später viel zu aufgedreht. Dann halt raus. Freundin anrufen, Einkaufen gehen. Auf dem 983m langen Weg zur U-Bahn spießrutenlaufen um Blicke. Den fünfzehnjährigen Volldeppen natürlich keine kluge Antwort auf das „Scheiß Lesben“ zurückgerufen. Wieder U-Bahn-Fenster. In der Innenstadt spießrutenlaufen um Blicke und Wahlwerbung.

Ich bin politisch wirklich interessiert, aber ich hab selten so überhaupt keinen Bock auf Wahlen gehabt. Also so richtig Null Bock. Seitdem mir jede Partei sagt, dass sie ja voll liberal dafür sei, aber sich seit Jahren keine Partei bewegt um wirklich etwas zu erreichen, finde ich Parteien ungefähr so vertrauenserweckend wie die Horrorclowns im Westpark letztes Jahr.

Noch immer diese bescheuerte Hochzeitskarte in der Handtasche.

Am Marienplatz stehen noch immer die Pegida-Idioten, nur scheinbar werden sie immer jünger. Der in der Mitte könnte so alt wie mein Bruder sein. An den Bruder denken, der sich nicht mehr meldet, weil er überfordert ist, weil meine Liebe so überfordernd ist, er würde ja nichts fordern, nur was sollen denn die Leute denken.

In der U-Bahn vom Mann auf der Sitzbank gegenüber ungewollt ungefragt vollgelabert werden: Habt ihr Kinder? Seid ihr verheiratet?

Greife in die Handtasche, schneide mich an der verdammten Hochzeitseinladung. Herzblut auf weißem Büttenpapier.

Der Mann gegenüber von dir bohrt noch immer, du zu schüchtern, zu eingeschüchtert um was zu sagen bohrst deine Finger in meine Hand, ich denk, ich will dich heiraten irgendwann. Will deine Hand in meiner Hand haben dürfen mit diesen scheißverdammt viel zu teuren dämlichen Ringen dran und will dich Frau rufen dürfen und es wirklich so meinen. Also nicht jetzt, nicht morgen, nicht im nächsten Jahr, aber ich will wenigstens die Möglichkeit dazu haben, also irgendwann.

Dem Mann, möglichst freundlich, ins Gesicht blaffen, dass das sehr persönliche Fragen sind und ich diese nicht beantworten werde. Der Mann redet weiter, spricht irgendwas von keine Ehe für sowas, der Geduldsfaden reißt.

Ich will‘s mir nicht mehr sagen lassen.

Der nächste, der mir sagt, meine Liebe oder die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren sei nicht natürlich, der darf seine Biokenntnisse über das Sexualleben von Delfinen, Affen, Löwen, Giraffen, hunderten von Vögel, Hyänen, Schafen, Krabbelviechern und was weiß ich gerne auffrischen, aber nicht bei mir. Ganz nebenbei ist die Ehe im Übrigen nichts natürliches, sondern eine vom Staat eingerichtete Institution und damit ungefähr so natürlich und biologisch wie Plastikmüll.

Und wer mir sagt, dass die Ehe Mann und Frau vorbehalten sein muss, der darf gerne erklären ob und wie die mehr als zehn restlichen, biologisch anerkannten Kombinationen von X und Y Chromosomen sich dann das Ja-Wort geben dürfen und wieso genau Mann und Frau, also Mr. XY und Frau XX, diese Privilegien vor all den anderen Geschlechtlichkeiten haben dürfen.

Wenn wir‘s dann wiederum ganz platt an der Fortpflanzung festmachen, dann fordere ich nachhaltig den Entzug sämtlicher staatlicher Privilegien und des Ehestatusses für kinderlos gebliebene heterosexuelle Paare, das wäre die einzig logische Konsequenz.

Und wer mir jetzt sagt, dass die Ehe zwischen zwei Menschen die sich lieben und alt genug sind, das vor dem Staat zu bezeugen, gegen den Willen Gottes ist, der hat etwas an der Säkularisierung nicht verstanden.

Aber auch für die christlichen Hardliner unter den Parteien hab ich gern noch was zu sagen:

Wenn ihr sagt, dass meine Liebe gegen den Willen meines Gottes ist, dann seid ihr im Besitz von Gottes Weisheit. Da nur Gott im Besitz dieser Weisheit sein kann und über die Menschen richten darf, betitelt ihr euch mit dieser Aussage selbst als Gott und so blasphemisch und blöd können nicht mal die depperten Christdemokraten sein. Aber wer eine derartig menschenverabscheuende Asylpolitik fährt, der hat die Namensrechte am Wort Christus in seinem Namen eh verwirkt.

Es gibt kein Argument gegen die Ehe von gleichgeschlechtlichen Paaren, das heute noch sinnvoll greifen würde. Aber es gibt einen Grund dagegen zu sein: wenn man ein homophobes Arschloch ist.

Das alles fällt mir direkt vor die Füße des Mannes in der U-Bahn, aus Handtasche, großer Klappe, Hirn und Erinnerung, dazwischen liegen Wahlwerbezettel von Parteien die mir die „Ehe für alle“ noch vor der Wahl versprechen und das weiße Büttenpapier mit dem Blutfleck, der fast wie ein kleines Herz aussieht.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

§ 1 Ziel des Gesetzes
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Ich starre an die Decke über meinem Bett. Drehung nach links, Freundin schläft trotz laufender Serie. Drehung nach rechts, Handy – an: Meldung: 30 Jähriger schwuler Mann im Glockenbachviertel krankenhausreif geschlagen. Nächste Meldung: Die schwulen Ampelmännchen leuchten zum CSD wieder. Meine Nerven für das Thema sind noch immer tot. Welt dreht sich weiter, ich mich auf den Rücken.

Alle Menschen sind vor Gott gleich, meinten Sie.

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, haben Sie gesagt.

Scheint so, als wären 5,6 Millionen Deutsche halt doch ein bisschen weniger gleich als andere.

Autorin

Veronika Rieger (Deutschland)

Veronika Rieger ist Poetry Slammerin und seit Anfang 2016 auf den Bühnen unterwegs. Wenn sie nicht auf Bühnen unterwegs ist studiert sie evangelische Theologie auf Pfarramt.

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https://de.meetinghalfway.eu/2017/06/gleich-ganz-gleich-quasi-egal/feed/ 0
Europa und ich – ein Liebesbrief https://de.meetinghalfway.eu/2015/09/europa-und-ich-ein-liebesbrief/ https://de.meetinghalfway.eu/2015/09/europa-und-ich-ein-liebesbrief/#respond Wed, 16 Sep 2015 10:00:08 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=655 Europa durchlebt eine schwierige Zeit, doch nur durch Vertrauen, und auch ein wenig Idealismus, können wir diese Krise überwinden. Unsere Autorin erinnert sich in einem Brief an ihren Heimatkontinent an die schönsten Momente einer gemeinsam verbrachten Jugend und macht Hoffnung für die Zukunft. Ein Liebesbrief an Europa.

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Europa durchlebt eine schwierige Zeit, doch nur durch Vertrauen, und auch ein wenig Idealismus, können wir diese Krise überwinden. Unsere Autorin erinnert sich in einem Brief an ihren Heimatkontinent an die schönsten Momente einer gemeinsam verbrachten Jugend und macht Hoffnung für die Zukunft. Ein Liebesbrief an Europa.

Von Anja Meunier / 16.9.2015

Wir kennen uns schon mein ganzes Leben. Als ich klein war, hast du mir in den Sommerferien die Strände Italiens und im Winter die schneebedeckten Gipfel Österreichs gezeigt. Meinen vierten Geburtstag feierten wir zusammen in Griechenland, wo ich in den kleinen Gassen von Antiparos Fahrradfahren gelernt habe. Du warst wunderschön, spannend und immer für mich da. Während ich aufwuchs, wurdest auch du größer und stärker, ich begleitete dich bei deinen wichtigsten Entwicklungen und du mich bei meinen. Als ich älter wurde, fuhren wir zusammen zum Schüleraustausch nach Schottland und Tschechien, wo ich in meinem allerersten Rausch auch ganz neue Facetten von dir kennenlernte. Unsere Freundschaft wurde von Jahr zu Jahr tiefer und ich glaubte, dich sehr gut zu kennen.

Du warst dabei, als ich an den rauen Atlantikstränden der Bretagne badete und mich im Windsurfen versuchte, wir flanierten zusammen durch die Altstadt von Barcelona, am Balaton aßen wir zusammen Langosch. Niemand konnte so spannende Geschichten erzählen wie du. Längst vergangene Zeiten hast du mühelos zum Leben erweckt, als wir zusammen durch Venedig spazierten, und in Berlin hast du mir deine dunkelsten Geheimnisse anvertraut.

Anja-winter
Anja-Antiparos-2

Vor ein paar Jahren zog ich für ein Jahr nach Málaga in Spanien, wo ich in einem sehr internationalen Umfeld landete. Meine Mitbewohner kamen aus den Niederlanden, der Türkei, Frankreich, Italien und Deutschland. Wir diskutierten vieles in unserer WG, von den Gründen für Berlusconis Beliebtheit über amerikanische Waffenpolitik bis zu den Vor- und Nachteilen des Bachelor- und Master-Systems. All diese Gespräche haben mich bereichert und mir gezeigt, dass wir doch alle aus derselben Ecke der Welt kommen, diesem kleinen Flecken der Erde, der so viel zu bieten hat und der geschichtlich und kulturell so eng verflochten ist. Ich war nicht die einzige, die von dir schwärmte, und ich fand es großartig. Ich bekam eine ganz neue Sichtweise auf meine Heimat. Ich merkte, dass wir alle Jugendliche mit ganz ähnlichen Erfahrungen waren, mit gleichen Ansichten, gleichen Träumen und gleichen Wünschen. Und immer warst du mit dabei, ich fühlte mich dir so nah wie nie.

Plötzlich war da etwas Neues zwischen uns, eine Verbundenheit, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte. Auf einmal warst du mehr als eine gute Freundin, ich hatte mich in dich verliebt. Wir gehörten zusammen und ich trug Verantwortung dafür, dass es ihr gut ging. Doch leider musste ich mit ansehen, wie du immer mehr zu kämpfen hattest. Depressionen und Identitätskrisen erschütterten dein Selbstbewusstsein und es wuchs eine innere Unruhe in dir heran. Es traf mich hart, dich so zu sehen. Immer hatte ich geglaubt, in dir eine starke, gefestigte Partnerin zu haben, jemand der für immer da sein wird. Doch auf einmal hatte ich Angst um dich.

Seit einigen Monaten führen wir eine Fernbeziehung, ich wohne nun in Kolumbien. Auch wenn es mir hier gefällt, vermisse ich dich manchmal sehr, denn meine Gefühle sind nur stärker geworden, seitdem ich hier bin. Oft erzählst du mir von den Problemen, die dich in letzter Zeit plagen, und von deiner inneren Zerrissenheit. In den entscheidenden Momenten durchwache ich die Nächte mit dir, in der Hoffnung auf Nachrichten der Besserung. Ich mache mir große Sorgen um dich, ich möchte dich stärken und dir Rückhalt geben. Ich glaube an dich und ich will dir helfen, diese Krise zu überwinden.

Anja-Malaga

Doch eine einzelne Stimme kann wenig ausrichten gegen deine inneren Widersprüche, du brauchst Millionen, um dein Selbstbewusstsein wieder herzustellen. Du hast so viele Freunde, nimm ihre Hilfe an! Zeig deinen Skeptikern, was sie an dir haben, wie stark du bist. Ich glaube daran, dass du es schaffen wirst, Europa, auf mich wirst du immer zählen können.

Autorin

Anja Meunier (Deutschland)

Studium: Mathematik und Wirtschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch

Europa hat… schöne Länder, interessante Leute, einen tollen Lebensstil. Und die Notwendigkeit zusammen zu halten.

500px: Anja Meunier

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Polyamorie – Drei Sichtweisen https://de.meetinghalfway.eu/2013/12/polyamorie-drei-sichtweisen/ https://de.meetinghalfway.eu/2013/12/polyamorie-drei-sichtweisen/#comments Mon, 30 Dec 2013 22:15:29 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=465 Die Idee der Polyamorie taucht in letzter Zeit immer wieder in den Medien auf. Der Grundgedanke: Mehr als eine Beziehung. Aber was bedeutet das für die Beteiligten konkret, wie fühlt es sich an - und wie kommt man überhaupt dazu?

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Die Idee der Polyamorie taucht in letzter Zeit immer wieder in den Medien auf. Der Grundgedanke: Mehr als eine Beziehung. Aber was bedeutet das für die Beteiligten konkret, wie fühlt es sich an –  und wie kommt man überhaupt dazu?

Mehrere Menschen lieben – eigentlich kein Problem. In Familien funktioniert es und auch von Freundschaften kann man mehr als eine haben. Doch sobald es um Beziehungen geht, werden viele skeptisch. Ob es da auch mehr als eine geben kann? Leute, die polyamor leben, sehen darin kein Problem.

Dass “Polyamorie” sich aus dem griechischen Wort für “viel” (poly) und dem lateinischen Wort für “Liebe” (amor) zusammensetzt, kann man auch bei Wikipedia nachschauen. Aber das wirklich Interessante fällt unter den Tisch: Wie fühlt es sich an, wenn man mehrere Partner hat? Wenn der eigene Freund  mit anderen Frauen schläft? Warum machen Menschen so etwas?

Das Grundkonzept (die Möglichkeit von “viel Liebe”) steckt im Wort selber. Doch wie es letztendlich ausgelebt wird, hängt von jeder und jedem Einzelnen an – lassen wir also die Einzelnen zu Wort kommen.

20131111 - Polyamorie 1

Foto: Privat

“Andere besitzen und kontrollieren zu wollen, ist unfair und egoistisch”

Daniela (Name geändert), 31, Hamburg

Alle meine bisherigen Beziehungen waren monogam. Ich hatte von dem Konzept nicht-monogamer Beziehungen (außerhalb eines religösen Kontexts) nie gehört, bis ein Freund, der an einer Beziehung mit mir interessiert war, mir erzählte, wie er seine Beziehungen führte. Ich war fasziniert und dachte mir “Warum nicht?” Aus “Warum nicht” wurde irgendwann “Hey, das funtioniert tatsächlich!”. Ich bin momentan ein “Blatt” im Kontext polyamorer Beziehungen, das bedeutet, dass mein Partner viele Partner hat.

Ich selber habe nur eine Beziehung und hatte auch in der Vergangenheit nie mehr als einen Partner, bin dem gegenüber aber aufgeschlossen. Die Menschen in meinem Leben ordne ich aber nicht nach irgendeiner Rangordnung ein, alle sind einzigartig und wichtig auf ihre eigene Art und Weise. Ich denke, dass sich auch meine Beziehungen, falls ich mehr als eine hätte, voneinander unterscheiden würden wie verschiedene Menschen es eben tun. Höchstens aus praktischen Gründen könnte es sein, dass irgendwann jemand bevorzugt wird, zum Beispiel im Fall von Krankheit oder zum Großziehen von Kindern.

Durch die Beschäftigung mit Polyamorie wurde ich mit der Idee konfrontiert, dass jede und jeder Einzelne zählt. Das Verlangen, einander zu besitzen oder die Handlungen und Vorlieben des Andere zu kontrollieren, ist extrem unfair und egoistisch. Polyamorie zwingt Menschen in einer Beziehung so dazu, auf vielen verschiedenen Ebenen gut miteinander zu kommunizieren.

Eifersucht ist keine Herausforderung, die zur Polyamorie gehört, sondern auch in anderen Kontexten wie Beruf, Freundschaft oder Monogamie vorkommt. Sie hat ihren Ursprung in Unsicherheit, dem Gefühl, dass man “ersetzt wird” oder “nicht gut genug” ist. Auch, wenn gute Kommunikation unerlässlich ist, um viele dieser Unsicherheitsgefühle zu mindern, braucht man auf jeden Fall ein gewisses Selbstvertrauen, um sich im Kontext polyamorer Beziehungen wohl zu fühlen. Ich selber bin auch manchmal eifersüchtig, aber dann versuche ich, zu verstehen, woher diese Gefühle kommen, indem ich mit meinem Partner darüber rede.

In der Vergangenheit wurde ich oft mit sehr abwertenden Reaktionen konfrontiert, was die Art meiner Beziehungen angeht. Da gibt es Annahmen wie die, dass ich mich nicht zu einer “richtigen” Beziehungen verpflichten kann, dass meine Beziehungen “unnatürlich” sind oder dass ich einfach “rebellisch” sein möchte. Der Großteil meines Freundeskreises und meiner Familie weiß nicht, dass ich in einer polyamoren Beziehung lebe und ich habe immer noch einige Bedenken, wenn es darum geht, mit Leuten, die nicht Teil des “poly circles” sind, über die Art meiner Beziehungen zu reden.

Im Prinzip ist die Entscheidung, poly zu leben, aber keine Frage des Lifestyles, sondern eine moralische Frage: Ich will niemanden “besitzen” und glaube nicht, dass mein Partner mir gehört. Ich will letztendlich, dass mein Partner tut was ihm/ihr Freude macht, und wenn das heißt, mit anderen Partnern zu sein, ist das auch in Ordnung.

“Es ist doch viel schlüssiger: Alle Beteiligten haben ein erfüllteres Leben”

Matthias, 30, Hamburg

20131111 - Polyamorie 2

Foto: Privat

Es muss vor etwa zehn Jahren gewesen sein: Ich stolperte über einen Artikel oder Blogpost, der das beschrieb, was ich schon lange lebte, und es „Polyamory“ nannte. Ich dachte nur: „Oh, so heißt das also.“

Ich lebte fast von Anfang an poly, ich wusste nur erst nicht, dass es so heißt. Ich habe einfach nie verstanden, warum man in einer Form von Beziehung nur eine Person lieben dürfen soll, aber z.B. mehrere Familienmitglieder „lieben“ darf oder beliebig viele Freunde haben kann. Irgendwann war ich in einer Beziehung, lernte diese andere tolle Frau kennen, die auch recht aufgeschlossen war und in Bezehungsfragen ähnlich dachte – und so probierten wir es aus.

Für mich unterscheiden sich meine verschiedenen Beziehungen vor allem dadurch, dass sie mit verschiedenen Menschen sind. Das klingt banal, aber jeder Mensch ist einzigartig und im Umgang mit unterschiedlichen Menschen lerne ich viel über mich, über sie und andere interessante Dinge. Ich teile einfach viele Leben, und das sind oft tolle Erfahrungen, die ich alleine nie gemacht hätte. Manche Beziehungen stechen wegen äußerer Umstände hervor – gleiche Stadt, Zusammenleben etc. – während ich für andere weniger Zeit habe. Ich würde aber nicht sagen, dass mir bestimmte Beziehungen wichtiger sind als andere.

20131111 polyamorie 4

Foto: Privat

Polyamorie erschien und erscheint mir immer noch schlicht viel schlüssiger als andere Beziehungskonzepte. Man spart sich das ganze Drama mit Eifersucht und Besitzansprüchen und alle Beteiligten haben ein erfüllteres Leben, weil man sich mit den anderen freuen kann, niemand alleine immer alle Bedürfnisse abdecken kann, oder weil es einfach die Chancen erhöht, dass ein*e Partner*in gerade Zeit hat.

Eifersucht halte ich für sinnlos und egoistisch und habe sie nie ganz verstanden. Andere Menschen sind eigene Persönlichkeiten, an die ich nicht den Anspruch stellen kann, dass sie nur für mich da sind. Außerdem definiere ich mich nicht darüber, was andere für mich empfinden. Ich freue mich über die Zeit, die ich mit großartigen Menschen verbringen kann, und wünsche ihnen, dass sie so glücklich wie möglich sind. Wenn das mit anderen Personen gerade besser geht, ist das doch total okay.

Die Herausforderungen sind meiner Meinung nach vor allem Zeit und Raum: Wenn man Vollzeit arbeitet, hat man weniger Freizeit und kann diese weniger flexibel nutzen. Wenn nicht alle Partner*innen in der selben Stadt leben, sind Treffen je nach Distanz ein größeres logistisches Problem. Das kann frustrierend sein, wird aber durch heutige Kommunikationsmittel etwas gelindert.

Wenn andere Leute mitbekommen, dass ich poly lebe, reagieren die meisten positiv und fragen mich darüber aus. Allerdings habe ich als weißer, halbwegs heterosexueller Mann auch einen riesigen Vorteil, weil mehrere gleichzeitige Beziehungen eher positiv bewertet werden – Frauen haben da leider einen schwereren Stand. Die negativsten Reaktionen bei mir waren eher von der Sorte „Also für mich wäre das ja nichts“. Ich gehe aber auch recht offen damit um, sodass Menschen, die es für total bescheuert halten, sich vielleicht gleich fern halten.

“Es ist, als ob man ein paar zusätzliche Sinne geschenkt bekommt”

Johannes, 35, Berlin

20131111 - Polyamorie 3

Foto: Privat

Als ich das erste Mal von Polyamorie gehört habe, konnte ich mir wenig darunter vorstellen. Dann lernte ich eine Frau kennen, die mir bei unserem ersten Treffen erklärte, dass sie poly lebt. Für mich war das verwirrend: Wie kann man mit unterschiedlichen Menschen gleichzeitig zusammen sein? Ich weiß noch, wie sie mir von einer Partnerin erzählte, die sich über den gemeinsamen Ex-Partner aufregte und meinte, dass Poly doch manchmal Mist sei. Meine Bekanntschaft entgegnete ihr: “Poly ist nicht das Problem. Er ist das Problem.” Ich hab damals verstanden, dass Poly-Beziehungen sicherlich nicht die einfachste Form von Beziehungen sind. Sie sind hoch komplexe Beziehungsnetzwerke, bei denen alle Beteiligten sich verantwortungsvoll und ehrlich verhalten müssen.

Ich selber wollte damit aber nichts zu tun haben. Poly hatte für mich immer diesen Beigeschmack von ‘sich nicht festlegen’ wollen. Entgegen meiner Bedenken kam es anders: Ich lernte eine Frau kennen, die ich auf den ersten Blick großartig fand. Ich bemerkte aber, dass sie in männlicher Begleitung war. “Tja”, dachte ich, “besetzt” – bis diese Frau anfing, sehr deutlich mit mir zu flirten. Ein paar Tage später hatten wir schon die erste gemeinsame Verabredung. Sie gab mir schnell zu verstehen, dass sie poly lebte. Und mir war klar, dass sie sich nicht auf eine monogame Beziehung einlassen würde. Also entschloss ich mich, das mal auszuprobieren.

Für mich stand fest, dass ich das vor allem machte, weil ich mich so zu dieser Frau hingezogen fühlte. Es gab einfach keine andere Möglichkeit. Gleichzeitig war ich aber auch neugierig. Die Beziehung hielt leider nur ein knappes Jahr, aber es war trotzdem eine intensive Zeit, in der ich viel über mich selbst gelernt habe.

Letztendlich ist es mit den verschiedenen Beziehungen wie bei Freundschaften: Auch, wenn ich manche aus Zeitmangel mal etwas ruhen lasse oder man weit von einander entfernt lebt, ist mir jede wichtig, weil jede einzigartig ist. Bei meinen Poly-Erfahrungen war das ähnlich, nur kamen da noch Sex und viel mehr Intimität dazu. Gleichzeitig wurden die Abstufungen feiner: Sex ist nicht gleich Sex, und Intimität nicht gleich Intimität. Mit jeder dieser Frauen war das körperliche und emotionale Empfinden anders.

Das Besondere an Polyamorie ist für mich das grundlegende Prinzip der Offenheit: Ich bin ungebunden und gleichzeitig fest gebunden. Es ist, als ob man ein paar zusätzliche Sinne geschenkt bekommt, die es einem ermöglichen, Menschen nochmal auf eine ganz neue Weise kennenzulernen. Gleichzeitig hat diese Offenheit mein Verhältnis gegenüber Frauen verändert: Wenn ich heute eine Frau attraktiv finde, empfinde ich das als einen Ausdruck größter Wertschätzung und Bewunderung. Es ist mir nicht unangenehm, im Gegenteil! Und ich habe das Gefühl, dass ich das auch ausstrahle.

Eifersucht ist ein Problem, das stimmt. Aber eines, dass man lösen kann. Für mich war das der erste große Konflikt, mit dem ich umgehen musst: Meine Freundin war mit einem anderen Partner verabredet, und ich wusste, dass sie miteinander schlafen würden. Ich war rasend vor Eifersucht! Dann hab ich mich gefragt, warum mir das so an die Nieren geht. Muss ich wirklich eifersüchtig sein? Ist das etwas, das ich empfinden will? Eigentlich ist es nur extremer Neid. Muss ich neidisch sein? Dabei ist mir auch klar geworden, dass Eifersucht viel mit persönlicher Unsicherheit zu tun hat. Dann habe ich meine Freundin mal mit ihrem anderen Partner zusammen erlebt und das sah sehr liebevoll aus. Mein Neid verschwand, stattdessen habe ich mich für sie gefreut.

Ich glaube auch, dass viele sich Poly-Beziehungen komplizierter vorstellen, als sie es wirklich sind. Ja, es kann kompliziert werden und verdammt weh tun. Aber das ist bei allen Beziehungen so, wenn man Menschen aufrichtig liebt.

Ich bin mir allerdings gar nicht so sicher, ob ich wirklich poly bin. Es gibt Aspekte, ohne die ich nicht mehr leben möchte. Trotzdem habe ich das Bedürfnis nach einer Partnerin, mit der ich mehr Zeit als mit anderen verbringe kann. Aber das Schöne an Poly-Beziehungen ist ja, dass man vieles gar nicht definieren kann – ich werde es also einfach auf mich zukommen lassen und schauen, wie es sich anfühlt.

[crp]

Autorin

Katharin Tai (Deutschland/Frankreich)

Studiert: Euro-asiatische Beziehungen/Völkerrecht

Spricht: Deutsch, Englisch, Französisch, Chinesisch, Japanisch, Schwedisch.

Europa ist… ein faszinierender Ort, der darauf wartet, entdeckt zu werden.

Blog: www.gedankenstiele.wordpress.com

Twitter: @Whitey_chan

 

 

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Vier Blickwinkel auf eine Realität: Die Homosexualität in Russland https://de.meetinghalfway.eu/2013/12/vier-blickwinkel-auf-eine-realitat-die-homosexualitat-in-russland/ https://de.meetinghalfway.eu/2013/12/vier-blickwinkel-auf-eine-realitat-die-homosexualitat-in-russland/#respond Tue, 03 Dec 2013 07:42:46 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=457 Wir haben mit Andrey Glushkó, der nach Spanien umzog, um in “Freiheit” zu leben, mit seiner Freundin Anastasiya Belickaya, mit der jungen Politologin Nina Ivanova und mit dem Korrespondent der spanischen Zeitung ‘El Mundo’ in Moskau gesprochen, um herauszufinden, warum 74 Prozent der Russen Homosexualität nicht in der Gesellschaft akzeptieren.

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Wir haben mit Andrey Glushkó, der nach Spanien umzog, um in “Freiheit” zu leben, mit seiner Freundin Anastasiya Belickaya, mit der jungen Politologin Nina Ivanova und mit dem Korrespondent der spanischen Zeitung ‘El Mundo’ in Moskau gesprochen, um herauszufinden, warum 74 Prozent der Russen Homosexualität nicht in der Gesellschaft akzeptieren.

Russland und Spanien befinden sich an den geografischen Extremen Europas: Nordosten und Südwesten. Russlands Grenzen stoßen an Asien, Spaniens an Afrika. Eine enorme geografische Trennung, die dennoch eine funktionierende Beziehung zwischen den beiden Ländern nicht behindert.

Doch trotz der Gemeinsamkeiten kann man zwischen den beiden Staaten große soziopolitische Unterschiede finden. Das Pew Research Center brachte dies mit einer einfachen Frage zur Sprache: “Sollte die Gesellschaft Homosexualität akzeptieren?”. 88 Prozent der Spanier antworteten mit “ja”, das ist weltweit die höchste Akzeptanzquote. 74 Prozent der Russen antworteten mit “nein”, die niedrigste Quote Europas.

Die Ergebnisse dieser Studie spiegeln sich auch in der Gesetzgebung beider Länder wider. In Spanien können homosexuelle Paare seit dem Jahr 2005 heiraten, mit den gleichen Rechten und Pflichten wie heterosexuelle. In Russland hingegen sind weder Hochzeiten zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren in den Gesetzen verankert, noch existiert, nach Informationen des BBC, ein Gesetz gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.

Zusätzlich wurde in Russland vor kurzem ein nationales Gesetz verabschiedet, welches es erlaubt, gegen jeden, der unter Kindern und Jugendlichen “nicht-traditionelle sexuelle Orientierungen” oder “die Idee, dass traditionelle und nicht-traditionelle sexuelle Orientierungen den gleichen sozialen Wert hätten”, verbreitet, Strafen zu verhängen.

“Obwohl das Gesetz so aussieht, als ob es ein Mittel wäre, die Botschaft der Schwulen und Lesben von Kindern fernzuhalten, bedeutet es in der Praxis, dass Homosexuelle weder Feiern noch Proteste im öffentlichen Raum abhalten können, und auch die Medien nicht nutzen können…”. So interpretiert der Korrespondent der Zeitung El Mundo in Moskau, Xavier Colás, welchen wir für diese Reportage interviewt haben, dieses Gesetz.

In all diesen Umfragen und Gesetzen geht es um Personen und feine Unterschiede. Bei Meeting Halfway wollten wir ein vielseitiges Interview führen, mit vier Standpunkten zum gleichen Thema. Wir sprachen mit Andrey Glushko, welcher Russland wegen seiner Homosexualität verließ, Anastasiya Belickaya, die sagt, sie glaube nicht, dass alle Homosexuellen dies von Natur aus seien, mit der jungen Politologin Nina Ivanova, die dazu meint: “Die jungen Schwulen und Lesben in Russland müssen ihre sexuellen Vorlieben verstecken und können, wenn sie das nicht tun, von ‘Hooligans’ angegriffen werden”, und mit dem Korrespondenten der spanischen Zeitung El Mundo in Moskau, Xavier Colás, der sagt: “In Russland existiert die fixe Idee, dass Homosexualität mit Pädophilie verknüpft ist. Das verkompliziert die Debatte”.

Interview mit Andrey Glushkó

Andrey Glughko wurde vor 26 Jahren in Krasnodar geboren, einer Stadt im Süden Russlands mit einer Million Einwohnern, nahe dem Kaukasus. Er studierte Wirtschaftswissenschaften in Pjatigorsk und erklärte sich bereit, uns zu erzählen, warum er sich entschied, aus seinem Heimatland auszuwandern, um sich in Madrid niederzulassen.

Wie war dein Leben in Russland?

Ich fand es wunderbar, mir gefällt die Geschichte Russlands, seine Kultur, seine Literatur und seine Malerei… Das Kulturgut meines Landes finde ich toll, aber dort zu leben ist nicht so schön, ganz besonders für Homosexuelle. Wenn du schwul bist und ein normales und ruhiges Leben führen willst, und du in der Zukunft eine Familie möchtest, dann wirst du niemals die Freiheit dazu haben. Nie wirst du dieses ruhige Leben haben können, ein einfaches Leben, ein mehr oder weniger normales Leben.

Warum bist du gegangen?

Der springende Punkt ist, dass in Russland alles etwas schneller geht. Wenn man 22 Jahre alt ist, ist es anzunehmen, dass man schon erwachsen ist, beständig und sesshaft. In diesem Alter schauen einen die Leute komisch an, wenn man weder Frau noch Kinder hat. Ich war 22 geworden, hatte mein Studium beendet, hatte Arbeit und alles lief gut, bis ich bemerkte, dass ich mehr nicht erreichen konnte. Ich konnte keinen Partner haben und eine Familie gründen, und so trafen zwei Welten aufeinander, mein privates Leben und meine Arbeitswelt. Ich musste entscheiden, ob ich bleiben wollte, um mein Leben innerhalb dessen zu gestalten, was “normal” war, oder ob ich gehen wollte, um mir woanders ein neues Leben von Grund auf aufzubauen. Ich entschied, dass es besser sei, nochmal von null anzufangen, denn ich hatte dort eigentlich nichts. In meinem Umfeld in Russland wurde nicht über Homosexualität gesprochen. Ich hatte zwar einen kleinen schwulen Freundeskreis, doch alles musste sehr heimlich gemacht werden. Also ließ ich alles hinter mir. Ich ließ meine Familie zurück, die wollte, dass ich ins Ausland zum studieren ging. Das war der einzige Grund, warum ich meine Eltern überhaupt zurücklassen konnte. Mein Vater glaubt noch immer, dass ich aus kulturellen Gründen hier bin, denn meine Eltern wissen nicht, dass ich schwul bin, und im Grunde genommen werden sie es wohl auch nicht erfahren. Meine Schwester weiß es, weil ich es ihr vor einem Jahr erzählt habe.

Wie gefällt es dir in Spanien, fühlst du dich wohl?

Ja, es gefällt mir sehr gut, ich vergöttere Spanien, meine zweite Heimat. Es ist nur sehr schwer hier alleine zu überleben, denn ihr Spanier seid ein bisschen… Nun, ihr seid offen, aber es ist nicht so einfach sich mit einem Spanier anzufreunden. Alle unterhalten sich, und fragen, wie es geht, und dies und das, aber letztendlich geht das vorüber. Ihr Spanier seid sehr aufgeschlossen, bis zu einem gewissen Punkt, und danach nicht mehr. Aber ich fühle mich sehr wohl in Spanien, ich könnte mein ganzes Leben hier verbringen. Ich bin schon viel durch Europa gereist, doch dieses Land gefällt mir am besten. Ich fühle mich viel beschützter als in meinem eigenen Land.

Hattest du das Gefühl, dass die Daten aus der Umfrage, nämlich dass der Großteil der Russen intolerant gegenüber Homosexualität sind, sich in deinem täglichen Leben widerspiegeln?

Ich habe keine Fälle von Gewalt in Russland gesehen, denn in Wirklichkeit war es so, als ob Homosexualität gar nicht existierte. Im Moment wird mehr darüber gesprochen, wegen der neuen Regierung von Putin. Ich weiß nicht, warum sie dieses Thema so viel besprechen, vielleicht um die Aufmerksamkeit von anderen schwierigen politischen Themen wegzulenken. Das Problem ist, dass sie jetzt jeden Tag darüber sprechen, dass Homosexualität schlecht sei, und letztendlich werden es die Leute glauben. Tatsächlich rief mich mein Vater an, als das Gesetz gegen homosexuelle Propaganda verabschiedet wurde, um mir zu sagen, wie zufrieden er damit sei. Es gibt sogar eine Partei, die ganz offen propagiert, man solle Schwule auf dem roten Platz exekutieren. Manche Leute spinnen echt ein bisschen…

In Zeiten der UDSSR wurde Homosexualität als Krankheit angesehen. Hat sich seit dieser Zeit etwas verbessert?

In Wirklichkeit haben sie dich damals dafür ins Gefängnis gesteckt. Heutzutage ist das Schlimmste was sie machen, alles zu vermischen… Denn das vor Kurzem verabschiedete Gesetz heißt auch “Verbot von Propaganda für Homosexualität und Pädophilie”. So als ob das das gleiche wäre. Das Problem ist, dass es in der russischen Sprache keinen großen Unterschied zwischen den Wörtern “Tunte” und “Pädophiler” gibt, wenn man sie nur hört. Also gibt es viele Leute, die denken, dass normalerweise ein Homosexueller auch ein Pädophiler ist.

Dieses Gesetz, welches verbietet, Propaganda für Homosexualität zu machen, wurde fast einstimmig im Parlament beschlossen. Gibt es keine tolerante Partei?

Es gibt einen Kreis von Politikern, die bekennende Schwule sind und die für unsere Rechte kämpfen. Trotzdem, man sagt Russland sei ein demokratisches Land, aber das stimmt nicht. Russland ist keine Demokratie, und war es auch nie. Es passt nicht zu uns, ein demokratisches Land zu sein, es würde besser passen, wenn wir wieder eine Diktatur wären, oder sowas. Wir entwickeln uns zurück.

Die Entscheidungen, die Russland auf diesem Gebiet trifft, beeinflussen auch andere Länder. In Spanien zum Beispiel wurden Adoptionen von russischen Kindern solange angehalten, bis die spanischen Ämter darlegen können, dass diese Kinder nicht bei einer homosexuellen Person landen werden.

In Russland gibt es viele Kinder, die niemanden haben, sehr viele. Ich habe eine Schule besucht, die auch Waisen- und Findelkinder aufnimmt. Ich habe gesehen wie ihr Leben so ist, sie versuchen nur zu überleben. Deshalb denke ich, dass es besser wäre, wenn diese Kinder eine Mutter hätten, oder jemand, der sich um sie kümmert, anstatt dort zu bleiben, alleine und unter solch schlechten Umständen. Aber die russische Regierung veranlasst, dass Homosexuelle Kinder weder anfassen, noch mit ihnen reden können, damit sie sie nicht anstecken. [http://www.hrw.org/news/2013/09/13/anti-gay-law-shames-putin-s-russia]

Warum passiert das in Russalnd, was denkst du?

Erstens glaube ich, dass es daran liegt, dass die orthodoxe Religion in diesem Gesichtspunkt eine der striktesten ist, strikter als die katholische. Zweitens denke ich, dass es auch an Stalin liegt. Er war es, der das erste Gesetz gegen Homosexualität veranlasste, und es gibt immer noch viele Leute mit kommunistischer Einstellung. Es kommt vieles zusammen.

Im Fall von Spanien, wo der Großteil der Bevölkerung katholisch ist, widerspricht sich das nicht mit der Tatsache, dass Homosexualität von den meisten akzeptiert wird…

Aber hier in Spanien schätzen homosexuelle Menschen das nicht wert.

Sie schätzen die Freiheit die sie haben nicht wert?

Nein. Sie haben sich daran gewöhnt, frei und sorglos zu leben. Und ich habe mich auch daran gewöhnt, aber wenn mich Freunde in Madrid besuchen, flippen sie aus. man geht durch die Straße, und denkt: “Wirklich, so weit kann man hier gehen?”. Manchmal wird hier auch ein bisschen übertrieben. Für mich ist das wichtigste, entspannt und in Freiheit leben zu können.

Kommen wir zum Ende des Interviews. Die letzte Frage ist, ob dein Name genannt werden soll, oder ob du es bevorzugst, wenn wir ein Pseudonym schreiben.

Schreibt meinen Namen, es gibt nichts zu verstecken.

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Interview mit Anastasiya Belickaya

 

Anastasiya Belickaya lebt in Sankt Petersburg und ist eine enge Freundin von Andrey Glishkó. Sie beendet ihre Erklärung per Email mit einer Entschuldigung: “Verzeihung, wenn ich die Gefühle von irgendjemandem verletzt habe”.

“Ich glaube an wahre homosexuelle Liebe, ABER in der Realität glaube ich nicht, dass alle Schwulen schon von Natur aus schwul sind. Ein paar von ihnen lassen sich einfach von Trends oder Bekenntnissen von Künstlern beeinfllussen, oder probieren schlichtweg etwas neues aus. Ich habe solche Personen kennengelernt und ich teile ihren Lebensstil nicht. Auf der anderen Seite sind alle Menschen der Welt von Natur aus heterosexuell: Du, ich, jeder. Aber wir haben alle viele Schwächen und Wünsche. Einige Männer wählen die traditionelle Beziehungsform, andere können, und das klingt jetzt vielleicht sehr ‘religiös’, den inneren Konflikten, die wir haben, nicht die Stirn bieten, und wählen homosexuelle Beziehungen.

Es ist sehr schwierig für mich, dir über dieses Thema zu schreiben, denn du lebst in Spanien, ein Land mit einer ganz anderen Philosophie und Einstellung, im Vergleich zu Russland. Unsere Wahrnehmung dieses Themas hängt mit unserer Geschichte zusammen, und die Homosexuaität ist hier keine typische Beziehungsform. Und ich möchte nicht, dass meine Kinder, mein Vater oder meine Großmutter auf der Straße turtelnde Schwule sehen, die eigentlich von Natur aus ein Sinnbild für Mut, Sicherheit und Stärke sein sollten.

Was öffentliche Kundgebungen betrifft, so bin ich gegen die ‘pornografischen’ Shows. Wenn Schwule ein normales Leben leben wollen, sollten sie aufhören, dieses Thema jedem aufzuzwingen. Ich verstehe, dass dies wichtig ist, um die Lebensform von Homosexuellen zu schützen, und ich weiß, dass sie jeden Tag unter psychologischem Druck leiden müssen. Ich habe viele schwule Freunde und ich spreche mit ihnen nicht über Homosexualität, denn ich behandle sie einfach genauso, wie meine restlichen Freunde, ohne irgendwelche Unterscheidungen.”

 

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Interview mit Nina Ivanova

 

Nina Ivanova, die es bevorzugte unter einem Pseudonym zu schreiben, ist 23 Jahre alt, hat Internationale Beziehungen und Regionale Studien studiert und lebt zur Zeit in Jekaterinburg, der Hauptstadt des föderalen Bezirks Ural. Sie bot uns ihre persönliche Sicht auf die Verabschiedung des ‘Gesetzes gegen Propaganda für nicht-traditionelle Beziehungen gegenüber Minderjährigen’.

“Ich glaube, dass die sexuelle Orientierung im Leben eines Menschen eine private Sache ist. Jedes Individuum soll für sich selbst entscheiden. Aber eine Person sollte nicht bewirken, dass andere sich genauso entscheiden, lesbisch oder schwul zu sein. Auf der anderen Seite sollte die Gesellschaft Homosexuelle nicht aufgrund ihrer Orientierung unter Druck setzen. In Russland sind die Leute normalerweise sehr konservativ, was die Akzeptanz von Homosexualität in ihrer Umgebung angeht. Junge Schwule müssen ihre sexuellen Präferenzen verheimlichen. Andernfalls könnten sie von Hooligans angegriffen oder von den Leuten beschimpft werden. Das ist traurig.

Ich denke, dass die Mehrheit meiner Freunde meine Meinung teilt. Wir leben in einer großen Stadt, wir reisen viel und wir verstehen, dass wir tolerant und respektvoll zu anderen sein sollen, ungeachtet ihrer Religion, ihres Alters, ihrer Nationalität oder ihrer sexuellen Orientierung. Nichtsdestotrotz fühle ich mich nicht wohl, wenn Homosexuelle ihre Gefühle an sehr sehr öffentlichen Orten, zum Beispiel durch intime Küsse oder Umarmungen, demonstrieren, denn das ist Teil des privaten Lebens.

Außerdem habe ich die folgende Meinung gehört: Dieses Problem ist nicht besonders wichtig. Die Leute widmen dem Thema LGTB sehr viel Aufmerksamkeit, aber in Russland gibt es wichtigere soziale Probleme, wie zum Beispiel, dass Leute viele Jahre warten müssen, um einen Platz im Kindergarten zu bekommen, usw.”.

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Interview with Xavier Colás: El Mundo’s correspondent in Moscow

 

Xavier Colás ist der Moskauer Korrespondent der Zeitung El Mundo, eine der meistverkauften Zeitungen mit allgemeiner Berichterstattung Spaniens. Er besetzt diese Stelle seit Januar 2012. Zuvor lebte er auch schon in Sankt Petersburg, wohin er als Student zog.

Warum, glaubst du, ist Homosexualität in Russland nicht so akzeptiert?

Ich glaube in Russland fehlt es unglaublich an Empathie. Die bürgerliche Gemeinschaft ist sehr schwach ausgeprägt, fast gar nicht vorhanden. Vor 30 Jahren waren wir in Spanien auch nicht begeistert von Homosexuellen, aber es gab einen gewissen Respekt gegenüber dem was man nicht verstand. Und mit der Zeit wurde dieser Gemeinschaft Gehör geschenkt, und heute sind wir sogar stolz auf sie. Für Russland ist das Zuhören schwieriger, denn dort ist man sich aufgrund einer Identitätskrise unsicher. Außerdem ist die dortige Gesellschaft in manchen Bereichen sehr traditionell (ohne Feminismus, Umweltschutzbewegung und Vereinsbewegung), obwohl sie in anderen Gebieten sehr offen ist (z.B. Scheidung, Sex oder Internet). Hier existiert die fixe Idee, dass Homosexualität mit Pädophilie verknüpft ist. Das verkompliziert die Debatte. [http://www.elmundo.es/elmundo/2013/06/11/internacional/1370958773.html Spanischer Artikel von El Mundo zu diesem Thema]

Glaubst du, dass diese Intoleranz mehr mit Homophobie zusammenhängt, oder eher in der Kultur begründet ist?

Die Regierung lehnt organisierte Gruppen von Schwulen ab, nicht solche, die im Schatten herumvögeln. Der Kreml will nicht, dass sich Schwule beschweren, in Englisch mit den Medien reden, Sichtbarkeit verlangen und das schöne Bild zerstören. Die russischen Bürger, auf der anderen Seite, sind traditionell, und das ist ihnen auch bewusst. Sie glauben wirklich daran, dass Homosexuelle ein Problem haben oder, dass sie die Gesellschaft pervertieren. Sie wissen nicht was sie sagen. Aber sie wissen nicht, warum sie nicht zuhören, und warum viele nicht reden. Viele reden nicht und folgen der Masse, wegen allem was ich vorher schon gesagt habe. Das Problem ist nicht so sehr, dass es Vorurteile gibt (es gab sie, und es gibt sie immer noch überall), sondern dass es wenig Kritiker gibt, die solchen Vorurteilen die Stirn bieten. Und das Misstrauen gegenüber dem Ausland (Russland sieht sich als umzingelten Kontinent) erschwert es, eine Lösung von außerhalb anzunehmen.

Hast du eine Kundgebung für oder gegen Homosexualität miterlebt? Was für eine Atmosphäre herrscht da?

Ja. Die Stimmung ist angespannt und es versammeln sich sehr brutale Leute, die beleidigen wollen. Das auffälligste an Russland ist, dass es so wenig heterosexuelle Leute gibt, die bereit sind, auf der Seite der Homosexuellen zu demonstrieren und sie zu verteidigen. Eine Sache, die die Leute nicht wissen ist, dass viele Verletzte, von denen berichtet wird, Anti-Gays sind. Die Schwulen müssen hier ziemlich viel einstecken, und wenn ihnen von der anderen Straßenseite achtmal hintereinander “Pädophiler” hinterhergerufen wird, durchqueren sie ein Polizeikordon (und rempeln Polizisten an), stellen sich den Anti-Gays gegenüber (und verprügeln den einen oder anderen). Danach kehren sie zu ihrer Kundgebung zurück (und schubsen zwei Polizisten). Ich bin einmal zu einer Demonstration von Schwulen gegangen, und niemand kam. Nur die Polizei und ich. Man sieht häufig Fahnen von Homosexuellen bei Kundgebungen der außerparlamentarischen Opposition. Obwohl die Anführer der Außerparlamentarischen (und von den Parlamentariern will ich gar nicht erst anfangen), es vermeiden, sie ins Rampenlicht zu ziehen. Es ist als ob man Robalcaba [Generalsekretär der sozialistischen PSOE in Spanien, Anm. des Übersetzers] auf Marihuana anspricht. Momentan sind Demonstrationen von Homosexuellen verboten. Das ‘Gesetz gegen Propaganda für nicht-traditionelle Beziehungen gegenüber Minderjährigen’ ist ein Trick. In Wirklichkeit gibt es ja überall Minderjährige, also kann man nicht aussprechen, dass man schwul ist, auch nicht auf dem Baikalsee bei minus 40 Grad im Winter. Russland hat die Münder der Schwulen zugenäht.

Glaubst du, dass sich die Situation in der Zukunft verbessern könnte?

Ohne Zweifel. Die Schwulen werden die Schlacht hier genau so gewinnen wie in Spanien. Es wird ähnlich ablaufen wie in den USA in den Sechzigern. Es wird hart, aber es wird andauern. Die russische Gesellschaft funktioniert nicht auf Diktat der Regierung. Sie ist bereit die Regierung zu ertragen, aber sie wird nicht immer folgen.

Erscheinen dir die jüngeren Generationen toleranter?

Nicht toleranter, aber aufnahmefähiger. Einfacher zu überzeugen. Sie sind öfter draußen und sie sind nicht so folgsam. Es gibt einen enormen Unterschied zwischen Moskau/Sankt Petersburg und dem Rest von Russland. In der Provinz ist die Situation kompliziert, weil Schwule von lokalen Gangs straflos attackiert werden. In der Hauptstadt gibt es eine allgemeine Frustration, aber mit ihrem Leben machen die Schwulen was sie möchten (nicht öffentlich, natürlich).

Mich interessiert besonders deine persönliche Wahrnehmung von dem was passiert.

Vor einem Jahr sprach ich auf einer Party mit zwei Russinnen (mit Freund). Ich brachte sie auf das Thema Homosexuelle. Beide mieden es, sie zu verurteilen, aber der Ton in dem sie sprachen konnte kaum abwertender sein. Alles waren Sätze wie: “Nein, ich habe nichts gegen sie, mir haben sie ja nichts getan, die sind halt so und können es nicht ändern, wir sollten ihnen keinen Schaden zufügen”. Sie bemitleideten sie. Nach wenigen Monten wiederholte sich die Party. Ich wendete mich an einen schwulen Korrespondenten, einen meiner Kollegen. Er war nicht gerade hässlich, und er kommt aus einem latein-amerikanischen Land, er war sehr nett, sprach sehr gut russisch, passte gut zu der Runde von Jungen und Mädchen, erinnerte sich an alle Namen und machte jedem einzelnen ein Kompliment. Er brachte seinen festen Freund mit, ein Russe, ein eher stiller und sehr eitler Mann. Es waren auch die gleichen zwei Mädchen da. Sie waren total begeistert von den beiden, sie lagen in vielen Dingen natürlich weit über dem russischen Durchschnittsmann. Sie wünschten sich, ihr Obsthändler, ihr Chef, ihr Arbeitskollege wäre so wie mein Kollege. Schließlich gab es vor einer Woche wieder eine Party. Es passierte wieder das Gleiche: Ein schwules Pärchen, Spanier und Russe, beide Fitness- und Tanztrainer. Sympathisch und hinreißend. Die Mädchen konnten sich kaum von den beiden trennen, aber diesmal fügten sie sie auf Facebook hinzu und wollen sie zu ihrer Geburtstagsfeier einladen. “Sie sind toll! Wie sympathisch!”. Keine Spur von “Pädophilen”.  Die Diskussion, dass Schwule krank, pädophil oder pervers seien, lässt sich leicht am Leben halten, wenn man ihnen nicht erlaubt, sich zu zeigen, wie sie sind. Aber wenn sie ins Licht treten, wird der Schwindel aufgedeckt, auch in Russland. Und mit der Aufklärung des Unsinns, dass sie Abschaum seien, klärt sich auch der Rest auf. Mich als Heterosexueller hatte das Bild einer “Gay-Pride-Party” immer irritiert. Solz, worauf? Schwul sein ist doch kein Verdienst. Aber in Russland habe ich gelernt, dass, obwohl es kein Verdienst ist, der Stolz eine fundamentale Rolle spielt beim Kampf gegen entschlossene Verfolger. In diesem homophoben Krieg werden die ersten, die die Russen an die Schwulen verlieren werden, die Mädchen sein. So wie es mit diesen beiden passiert ist. Sie schreiten stets voran. Wenn die Homophoben die Mädchen verlieren, verlieren sie den Krieg.

 

[crp]

Autor

J. Ignacio Urquijo Sánchez (Spanien)

Studium / Arbeit: Journalismus und Internationale Beziehungen

Sprachen: Spanisch, Englisch, Deutsch

Europa ist… eine Mischung großartiger Kulturen, von Shakespeare bis Cervantes, vom Rila-Kloster bis zum Sonnenuntergang auf dem Roque Nublo.

Blog: www.ignaciourquijo.wordpress.com

Twitter: @nachourquijo

 

 Illustrations

Andreea Mironiuc (Romania)

Freelance illustrator, chocolate addict, full time dreamer.

Studies: Multimedia Design and Communication

Speaks: Romanian, English, Spanish

Europe is… where my heart is.

Portfolio: www.andreeamironiuc.com

FB: www.facebook.com/andreeaillustration

Übersetzung

Anja Meunier (Deutschland)

Studium: Mathematik und Wirtschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch

Europa hat… schöne Länder, interessante Leute, einen tollen Lebensstil. Und die Notwendigkeit zusammen zu halten.

500px: Anja Meunier

Korrektur

Luzie Gerb (Deutschland)

Studium: Kunstgeschichte, Kunsterziehung und Vergleichende Kulturwissenschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Schwedisch, Französisch

Europa ist… voller magischer Orte, interessanter Menschen und ihren Geschichten.

 

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Interkulturelle Partnerschaften – ein Kulturschock? https://de.meetinghalfway.eu/2013/11/interkulturelle-partnerschaften-ein-kulturschock/ https://de.meetinghalfway.eu/2013/11/interkulturelle-partnerschaften-ein-kulturschock/#respond Tue, 19 Nov 2013 15:53:38 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=449 In unserer globalisierten Welt sind multikulturelle Paare schon lange kein seltenes Phänomen mehr. Reisen, Arbeit und Studium ermöglichen Beziehungen, in denen die Kommunikation und der Respekt für die jeweils anderen Traditionen entscheidend für ein langjähriges Zusammenleben sind. Dennoch kommt es häufig vor, dass diese Menschen mit unzähligen Problemen konfrontiert sind – unter anderem mit niemals endendenden Behördengängen und Diskriminierung.

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In unserer globalisierten Welt sind multikulturelle Paare schon lange kein seltenes Phänomen mehr. Reisen, Arbeit und Studium ermöglichen Beziehungen, in denen die Kommunikation und der Respekt für die jeweils anderen Traditionen entscheidend für ein langjähriges Zusammenleben sind. Dennoch kommt es häufig vor, dass diese Menschen mit unzähligen Problemen konfrontiert sind – unter anderem mit niemals endendenden Behördengängen und Diskriminierung.

Globalisierung, Reisen oder Bildungsinitiativen zur Stärkung des europäischen Zusammenhalts, wie z.B. Erasmus-Stipendien oder andere Förderprojekte, die mit der Internationalisierung von Ideen und Unternehmen zu tun haben – all dies trägt dazu bei, dass die Anzahl der Partnerschaften von Menschen unterschiedlicher Nationen stetig zunimmt. Gleichwohl sind nicht alle Liebeserlebnisse nur die Geschichten zweier Menschen.

Sprache, Gewohnheiten, Traditionen, Familie oder Diskriminierung – dies sind nur einige der vielen Dinge, mit denen sich Paare mit unterschiedlicher Herkunft konfrontiert sehen. Auch wenn jede Beziehung mal in eine Krise geraten kann, gilt für sie besonders: Die Verständigung und der Respekt der Traditionen des jeweils anderen ist das Fundament der Partnerschaft.

Es ist weniger als ein Jahr her, dass Alessandra von ihrer Reise nach Argentinien zurückgekehrt ist. Das war das erste Mal, dass sie Lateinamerika bereist hat, und obwohl sie sich alleine auf den Weg gemacht hat, war ihr Koffer voller Vorstellungen und Erwartungen – denn sie würde ihr erstes Weinachten im Sommer auf der Südhalbkugel, in Salta, mit der Familie ihres Freundes Óscar feiern.

„Wir haben uns auf der Geburtstagsfeier eines Freundes von Óscar kennengelernt. Ich bin als Begleitung einer Freundin mitgekommen, das war am Anfang meines Erasmus-Aufenthalts.“ So schildert die Italienerin die Nacht im Jahr 2010, in der sie ihren zukünftigen Partner kennengelernt hat. Drei Jahre später wohnen die beiden zusammen in einem Dorf namens San Pedro de Alcántara an der Costa del Sol in Südspanien.

Das Zusammenleben war schon immer eine der Stärken des italienisch-argentinischen Paares: „Wir glauben, dass die argentinische Kultur der italienischen sehr ähnlich ist, deshalb haben sich nur wenige Dinge verändert, wie z.B. unsere Ausdrucksweise.“

Ob zu Hause oder außerhalb, sie verständigen sich immer auf Spanisch. „Das ist die Muttersprache von Óscar und die Amtssprache des Landes, in dem wir leben, deshalb sehen wir es als Teil des Alltags“, meint Alessandra, wobei sie gleichzeitig betont, dass sie auch ein wenig Italienisch sprechen, weil Óscar das in den letzten Jahren gelernt hat.

PHOTO 1 GABY Y DANIEL

Gaby und Daniel

Die Wörter für „Auto“ und „Wischmopp“ (Auto: „carro“/Wischmopp: „coleto“ in Venezuela, Auto: „coche“/Wischmopp: „fregona“ in Spanien) sind nur einige Beispiele dafür, dass sich das Vokabular der Venezuelanerin Gabriela verändert hat, seit sie mit ihrem Partner Daniel in Spanien lebt. Als sie sich vor sechs Jahren kennengelernt haben, hat sich die Venezuelanerin ab dem ersten Moment wie zuhause gefühlt. „Immer und überall gibt es jemanden, der dir hilft und dir Ratschläge gibt, dafür bin ich sehr dankbar. Vor allem am Anfang wurde mir von der Familie meines Freundes, in der Arbeit und im alltäglichen Leben unter die Arme gegriffen“, erzählt Gaby.

Wenn man sie nach dem Tag fragt, an dem die beiden sich kennengelernt haben, erinnert sich die Venezuelanerin an jedes Detail: „Wir haben uns über unsere Cousins kennengelernt, denn als ich vor sechs Jahren nach Málaga kam, waren meine Cousine und sein Cousin ein Paar. Mein Bruder und ich haben eine Zeit lang bei ihnen gewohnt und eines Tages hat sein Cousin eine Grillparty organisiert,  da haben wir uns dann kennengelernt“, beschreibt sie.

Durch die venezuelanisch-spanische Beziehung haben sich viele Gewohnheiten des Paares geändert, vor allem in Bezug auf die Uhrzeiten.  Es ist allseits bekannt, dass man in Spanien später zu Mittag oder zu Abend isst und später ins Bett geht als im Rest der Welt. Gaby beispielswiese hat in Venezuela ca. zwei Stunden eher Abendbrot gegessen und ist gegen 21.30 Uhr ins Bett gegangen, während sie in Spanien erst ab 23 Uhr schlafen geht.

Laut Zahlen des digitalen Nachrichtenblatts Mujeres en Cifras (dt.: Frauen in Zahlen), das von dem Instituto de la Mujer, dem Institut für Frauenarbeit der spanischen Regierung, im Februar diesen Jahres herausgegeben wurde, wurden zwischen 1996 und 2011 in Spanien 386.113 Hochzeiten gefeiert, bei denen mindestens einer der Partner ausländischer Staatsangehörigkeit war. Dabei ist bei es 303.704 dieser Ehen der Fall, dass einer der Eheleute spanischer und eine Person anderer Nationalität ist. Das heißt, dass in 78,66% der Fälle ein spanischer Mann oder eine spanische  Frau eine Person mit ausländischer Herkunft geheiratet hat. In dem genannten Zeitraum wurden 82.409 Eheschließungen vollzogen, bei denen beide Partner aus dem Ausland kamen.

PHOTO 2 ALESSANRA Y ÓSCAR

Alessandra und Óscar

Ohne Dokumente

Nichtsdestotrotz zeigen diese Zahlen nicht die Probleme, die sich aus der Xenophobie und dem Rassismus ergeben, denen diese multikulturellen Paare gegenüberstehen. „Am Anfang unserer Beziehung litt Óscar in Spanien unter Diskriminierung, denn ohne Papiere war das Arbeiten schwierig“, sagt Alessandra.

In der Tat müssen viele ausländische Partner diese komplizierte Situation überstehen, durch die sie sich wiederholt dazu gezwungen sehen, Arbeitsverhältnisse mit geringeren Löhnen als ihre europäischen Kolleginnen und Kollegen einzugehen, längere Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen oder einfach nicht die gleichen arbeitsrechtlichen Vorteile zu genießen wie der Rest der Belegschaft.

„Die Situation verbesserte sich, als wir unsere Lebenspartnerschaft eintragen ließen“, bestätigt Óscar. Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs Spaniens vom 03. November 2010 stellt Ehen und eingetragene Lebenspartnerschaften in Bezug auf die Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung als Familienmitglied eines Staatsbürgers gleich. Über diese Möglichkeit musste das italienisch-argentinische Paar deshalb kein zweites Mal nachdenken.

Sein Antrag, vollwertiger Bürger in der Europäischen Union zu werden, musste bürokratische Verfahren durchlaufen, doch erlaubte es Óscar schließlich, genau das zu tun, was Alessandra an Weihnachten gemacht hat: Er konnte nach Italien reisen und seine Schwiegereltern kennenlernen.

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Autorin

Ruth de Frutos (Spanien)

Studium / Arbeit: Journalismus Sprachen: Spanisch, Italienisch, Englisch, etwas Portugiesisch

Europa ist… der Ort, an dem ich Lebe und den ich jeden Tag besser kennen lernen will.

Twitter: @ruthdefrutos

Übersetzung

Margarita Lerman (Ukraine/Deutschland)

Studium: B.A. Translation

Sprachen: Spanisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Russisch

Europa ist ein wundervoller erster Schritt, um Solidarität zu zeigen – und das über nationalstaatliche Grenzen hinweg.

Korrektur

Anja Meunier (Deutschland)

Studium: Mathematik und Wirtschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch

Europa hat… schöne Länder, interessante Leute, einen tollen Lebensstil. Und die Notwendigkeit zusammen zu halten.

500px: Anja Meunier

 

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Ich mag meine Männer… https://de.meetinghalfway.eu/2013/11/ich-mag-meine-manner/ https://de.meetinghalfway.eu/2013/11/ich-mag-meine-manner/#respond Mon, 11 Nov 2013 22:38:36 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=426 Vielleicht ist es sein ausländischer Akzent, wenn er spricht, der dein Herz dahinschmelzen lässt. Vielleicht ist es die Art wie er dich festhält, oder dich auszieht, oder in dein Ohr flüstert, die dich verrückt macht. Vielleicht liegt es daran, dass seine Hautfarbe sich so perfekt mit deiner mischt, ganz unvergleichlich. So mag ich meine Männer. Und wie magst du deine?

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Vielleicht ist es sein ausländischer Akzent, wenn er spricht, der dein Herz dahinschmelzen lässt. Vielleicht ist es die Art wie er dich festhält, oder dich auszieht, oder in dein Ohr flüstert, die dich verrückt macht. Vielleicht liegt es daran, dass seine Hautfarbe sich so perfekt mit deiner mischt, ganz unvergleichlich. So mag ich meine Männer. Und wie magst du deine?

Ich mag meine Männer genauso wie mein Frühstück. Im Bett.

i like my men bed

 

Ich mag meine Männer genauso wie meinen Kaffee. Schwarz und stark.

i like my men coffee

 

Ich mag meine Männer genauso wie meine Bücher. Belesen und in Leder.

i like my men books

 

Ich mag meine Männer genauso wie meine Schokolade. In exzessiven Mengen.

i like my men choco

 

Ich mag meine Männer genauso wie meine Sahne. Geschlagen.

i like my men cream

 

Ich mag meine Männer genauso wie meinen Latte. Groß, weiß und dünn.

i like my men latte

 

Ich mag meine Männer genauso wie meinen Tee. Heiß und britisch.

i like my men tea

 

Ich mag meine Männer genauso wie meine Einhörner. Horny und frei erfunden.

i like my men unicorn

 

[crp]

 Illustrationen

Andreea Mironiuc (Rumänien)

Freiberufliche Illustratorin, Schokoladensüchtige, Vollzeit-Träumer.

Studium: Multimedia-Design und Kommunikation

Sprachen: Rumänisch, Englisch, Spanisch

Europa ist… wo mein Herz ist.

Portfolio: www.andreeamironiuc.com

FB: www.facebook.com/andreeaillustration

Übersetzung

Anja Meunier (Deutschland)

Studium: Mathematik und Wirtschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch

Europa hat… schöne Länder, interessante Leute, einen tollen Lebensstil. Und die Notwendigkeit zusammen zu halten.

500px: Anja Meunier

Korrektur

Luzie Gerb (Deutschland)

Studium: Kunstgeschichte, Kunsterziehung und Vergleichende Kulturwissenschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Schwedisch, Französisch

Europa ist… voller magischer Orte, interessanter Menschen und ihren Geschichten.

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