Vielfalt und Gleichberechtigung | MH Deutsch https://de.meetinghalfway.eu Wo Europa sich trifft Fri, 21 Aug 2020 07:20:17 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.4 WENN MAYOTTES ASYLBEWERBER*INNEN ZU ALLTAGSHELD*INNEN WERDEN https://de.meetinghalfway.eu/2020/08/wenn-mayottes-asylbewerberinnen-zu-alltagsheldinnen-werden/ https://de.meetinghalfway.eu/2020/08/wenn-mayottes-asylbewerberinnen-zu-alltagsheldinnen-werden/#respond Fri, 21 Aug 2020 07:20:16 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=2022 In Mayotte, Frankreichs jüngstem Überseedepartement im Indischen Ozean, war das tägliche Leben für Asylsuchende zwischen verwehrten Rechten, Diskriminierung und nicht enden wollender Bürokratie von Anfang an eine Herausforderung. Die strengen Ausgangsbeschränkungen der Regierung während der Covid-19-Pandemie haben ihre prekäre Situation noch verschärft. Statt ihre Situation zu bedauern, beschlossen zwei Asylsuchende jedoch, anderen zu helfen und ihre Geschichten zu erzählen.

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In Mayotte, Frankreichs jüngstem Überseedepartement im Indischen Ozean, war das tägliche Leben für Asylsuchende zwischen verwehrten Rechten, Diskriminierung und nicht enden wollender Bürokratie von Anfang an eine Herausforderung. Die strengen Ausgangsbeschränkungen der Regierung während der Covid-19-Pandemie haben ihre prekäre Situation noch verschärft. Statt ihre Situation zu bedauern, beschlossen zwei Asylsuchende jedoch, anderen zu helfen und ihre Geschichten zu erzählen.

Von Celina Wald, Elena Iwanski, Malek S, Pierre, Stéphanie-Fabienne Lacombe / 21.8.2020

Malek ist 30 Jahre alt, hat einen Master-Abschluss in Englisch und Linguistik und sieht sich aktuell mit einem Durcheinander konfrontiert, mit dem er nicht gerechnet hatte, als er 2019 beschloss, in Mayotte Asyl zu beantragen. Er und seine beiden Zimmergenossen müssen ihr Zimmer bis Ende des Monats verlassen. Infolge der Ausgangsbeschränkungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie konnten sie ihre Miete nicht zahlen, und ihr Vermieter scheint inzwischen die Geduld verloren zu haben.

Der Boden des winzigen Zimmers in Mamoudzou, der Hauptstadt von Mayotte, ist mit bemalten Fliesen ausgelegt. Darauf liegen stellenweise einige Decken und Kissen: drei improvisierte Schlafplätze. Ein kleiner Schrank und ein schäbiges Sofa wurden von früheren Mieter*innen zurückgelassen, die in Mayotte, einem französischen Überseedepartement, Asyl beantragt hatten. Ebenso wie Malek. Der junge Mann aus dem Jemen versucht, den Kopf nicht hängen zu lassen, aber manchmal ist er von den Auswirkungen der Ausgangssperre schlichtweg überwältigt. “Ich habe das Gefühl, die verbleibenden Tage meines Lebens zu zählen”, beginnt er Anfang Mai unseren Videoanruf.

Derzeit sind 2434 Fälle von Covid-19 auf der Insel bestätigt worden. Die von der französischen Regierung erlassenen Verordnungen halten die Bewohner*innen der Überseedepartements in ihren Häusern. Im Falle von Asylsuchenden in Mayotte bestehen diese jedoch oft nur aus einem einzigen Raum, den sie mit anderen teilen, oder aus winzigen Hütten aus Blech.

Photo: Elena Iwanski

Mayotte: ein Ort mit zunehmenden Asylanträgen

Mayotte, eine Insel auf dem Komoren-Archipel zwischen Madagaskar und Mosambik, wurde 2011 zunächst als Überseedepartement Frankreichs und 2014 als ein Gebiet in äußerster Randlage der EU anerkannt. Aufgrund seiner geografischen Lage erhält Mayotte zunehmend Asylanträge von den Komoren, aber auch aus der Demokratischen Republik Kongo (DRC), Burundi, Ruanda sowie aus Syrien, Jemen und Kamerun. Im Jahr 2018 wurden offziellen Berichten zufolge insgesamt 809 Asylgesuche auf der Insel registriert.

Die meisten Antragsteller*innen sind sich der prekären Situation der Asylsuchenden in Mayotte sowie der Gefahr, langfristig auf der Insel gestrandet zu sein, nicht bewusst. „Ich glaubte, in Mayotte die gleichen Rechte zu haben wie Asylsuchende in anderen Teilen der EU“, erklärt Malek, der sich vor der Reise im Internet informierte. Welche Information ihm allerdings fehlte: die große Diskrepanz zwischen dem französischen Festland und Mayotte, wenn es um das Durchsetzen der Rechte von Asylsuchenden geht.

Ein Teil der EU, in dem die Rechte Asylsuchender missachtet werden

Maleks Reise vom Jemen nach Mayotte dauerte fast zwei Monate und kostete ihn einige tausend Dollar. Wegen der restriktiven Visabestimmungen für Jemenit*innen hatte er nach mehreren Flügen keine andere Wahl, als mit dem Boot von Madagaskar auf die Komoren überzusetzen. „Diese 26 Stunden waren die gefährlichste Situation, der ich in meinem Leben je ausgesetzt war“, beschreibt er die Fahrt auf dem winzigen Segelboot mit 20 Personen an Bord, die alle auf eine sicherere Zukunft hofften.

Bei ihrer Ankunft waren die Asylsuchenden auf sich allein gestellt. Malek wusste, dass Solidarité Mayotte, eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Mamoudzou, Hauptakteur hinsichtlich der Unterstützung von Asylbewerber*innen auf der Insel ist. Da er ihre Kontaktdaten vorsorglich notiert hatte, wandte er sich an ihr Büro. Solidarité Mayotte bietet in erster Linie Hilfe bei bürokratischen Abläufen und gewährt Asylsuchenden eine kleine finanzielle Unterstützung. Die Organisation verfügt sogar über ein paar Unterkünfte, die für die Zahl der ankommenden Menschen jedoch nicht ausreichen. „Im Grunde genommen habe ich mir selbst geholfen“, berichtet Malek, der in einer Moschee Unterschlupf suchte, wo er die ersten 15 Tage verbrachte.

Theoretisch gilt in Mayotte das gleiche Asylgesetz wie auf dem französischen Festland. In Frankreich haben registrierte Asylsuchende das Recht auf eine Unterkunft, finanzielle Unterstützung sowie medizinische Versorgung und können nach sechs Monaten eine Arbeitserlaubnis beantragen. Faktisch werden den Asylsuchenden in Mayotte diese Rechte jedoch systematisch verweigert: Die Behörden stellen keine Unterkunft zur Verfügung und das Anmieten eines Zimmers ist ohne offizielle Dokumente oft unmöglich. Arbeitserlaubnisse sind in der Realität fast nicht zu bekommen und ein vergleichbares System finanzieller Unterstützung gibt es auf der französischen Insel nicht. Solidarité Mayotte hat diese sehr besorgniserregende Situation bereits in ihrem ersten Tätigkeitsbericht von 2008 angeprangert. Seitdem hat sich nichts geändert.

Dokumente beschaffen – ein umständlicher Prozess…

Pierre [1], ein politischer Flüchtling aus Burundi, der vor ein paar Jahren in Mayotte ankam, suchte anfangs ebenfalls Zuflucht in einer Moschee, bevor er eine andere Bleibe fand. „Am Anfang muss man sich hier wirklich allein durchschlagen und neu gewonnene Freund*innen um Hilfe bitten“, sagt er heute. „Gib niemals auf“ – das ist in dieser Zeit zu seinem Mantra geworden.

Malek und Pierre wurde nicht nur jegliche Unterstützung verweigert, auch der bürokratische Prozess erwies sich deutlich schwieriger als auf dem europäischen Kontinent. Es dauerte fast ein Jahr, bis Malek eine erste Anhörung bei OFPRA, dem französischen Amt zum Schutz von Asylsuchenden und Staatenlosen, erhielt. OFPRA ist für alle Asylanträge zuständig, die bei der französischen Departementverwaltung, sowohl auf dem Festland als auch in den Überseegebieten, gestellt werden. In Mayotte verfügt OFPRA jedoch über keinen ständigen Sitz, weshalb Malek auf die Ankunft der OFPRA-Delegation warten musste. Diese reist einmal jährlich nach Mayotte, um ihre Untersuchungsmission durchzuführen.

„Ich bitte die französische Regierung, den Menschen in Mayotte zu helfen und das Bewerbungsverfahren zu verbessern, damit die Menschen nicht so lange auf ihre Papiere warten müssen“, verlangt Pierre. In der Tat erfordert das gesamte Verfahren lange Wartezeiten, die oft mit wiederholtem Anstehen vor der „Präfektur“ verbunden sind, der Institution des Departements, die die Anmeldungen bearbeitet. Termine können zwar online vereinbart werden, sind aber nur auf ein Datum und auf keine bestimmte Uhrzeit festgelegt. Um sich Gehör zu verschaffen, ist eine frühe Anreise erforderlich, was wiederum zu einer langen Schlange vor der „Präfektur“ führt. Da die Online-Einreichung von Dokumenten nicht möglich ist, muss man dieses Verfahren im Zweifelsfall sogar mehrmals durchlaufen, sollte etwas fehlen. Hinzu kommt, dass eine kurzfristige Absage lang erwarteter Anhörungen vor dem Nationalen Asylgericht (CNDA) aufgrund infrastruktureller Probleme wie Stromausfällen keine Seltenheit ist. Die Anhörungen finden gewöhnlich per Videoanruf statt, da auch diese Institution in Mayotte nicht ständig präsent ist.

Photo: Elena Iwanski

Die Zeit überbrücken: Von Geduld und Tatendrang

Für Malek bedeutete dieses Verfahren elf Monate voller Unsicherheit, in denen er nicht arbeiten durfte. Während der ersten sechs Monate, in denen ein Fall von OFPRA bearbeitet wird, ist es unmöglich, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten – und es ist grundsätzlich ein langwieriger Prozess. Keine sinnvolle Beschäftigung zu haben bezeichnet Malek als „langsamen Tod“. Deshalb begann er, sich freiwillig für andere zu engagieren. Da sich Malek der Bedeutung und des Mangels an emotionaler und praktischer Unterstützung für Asylsuchende bewusst ist, hilft er nun anderen Asylbewerber*innen, die in Mayotte ankommen. Als Übersetzer begleitet er sie ins Krankenhaus oder bei Behördengängen – und hilft, wo immer er kann.

Einerseits fehlt es Mayotte an qualifiziertem Personal für seinen defizitären Gesundheitssektor und die überfüllten öffentlichen Schulen. So erreichen die Ausgaben Frankreichs pro Schüler*in in Mayotte beispielsweise nur zwei Drittel von dem, was der Staat für eine*n Schüler*in auf dem Festland ausgibt. Andererseits bringen Ankommende oft die erforderlichen akademischen Qualifikationen mit, dürfen diese aber nicht nutzen. Stattdessen sind sie gezwungen, sich dem informellen Sektor zuzuwenden, werden anfällig für Ausbeutung und erwirtschaften ihr Einkommen als Straßenverkäufer*innen, Haushaltshilfen oder Arbeiter*innen auf Baustellen. „Im Jemen war ich Akademiker – in Mayotte verkaufte ich Zwiebeln“, sagt Pierre. Paradoxerweise wurde er häufig von seiner Kundschaft beschuldigt, aus seinem Land geflohen zu sein, um den Reichtum Mayottes auszunutzen.

Das gesellschaftliche Umfeld von Mayotte ist zweifellos alles andere als einladend. Malek erlebte einige verbal anstößige Begegnungen mit den Einwohner*innen, ist aber allgemein davon überzeugt, dass „die Mahorianer*innen gut sind“. Pierre hat andere Erfahrungen gemacht: Seinem Asylgesuch wurde stattgegeben und er hat in Mayotte eine Stelle gefunden. Dennoch leidet er unter Rassismus und plant, die Insel wieder zu verlassen: „Einige Mahorianer*innen sind der Meinung, dass wir kein Recht haben, hier zu leben.“ Mayotte hat die höchste Arbeitslosenquote in der EU, während niedrige Löhne in Verbindung mit hohen Lebenshaltungskosten zusätzlichen Druck auf die Einwohner*innen ausüben. Diese alltäglichen Herausforderungen sind einer der Gründe für die teils negativen Reaktionen der Mahorianer*innen auf die Einwandernden. Und als ob die administrativen und sozialen Widrigkeiten nicht schon genug gewesen wären, „kam im März 2020 das Chaos“, führt Malek fort.

Photo: Elena Iwanski

Zunehmende Probleme im Zusammenhang mit den Einschränkungen durch Covid-19

Tatsächlich haben Frankreichs strenge Vorschriften als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie die Schwächsten in Mayotte am härtesten getroffen. 40% der Bevölkerung leben in Blechhütten, wo der Zugang zu sanitärer Infrastruktur nicht gewährleistet ist. 30% aller Häuser haben kein fließendes Wasser. Für Asylsuchende ist die Situation besonders heikel. Die strengen Corona-Maßnahmen von Präsident Macron berauben die Menschen der Möglichkeit, ein tägliches Einkommen zu erwirtschaften, was die Einhaltung der Vorschriften beinah unmöglich macht. Oder wie Malek es ausdrückt: „Draußen tobt das Virus, drinnen sucht uns das Virus namens Hunger heim. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass Covid-19 vor allem Menschen im Alter von 55-60 Jahren tötet, aber Armut und Hunger unterscheiden nicht zwischen den Altersgruppen. Allerdings betreffen sie weder Politiker*innen noch wohlhabende Menschen, sodass diese Bedrohungen systematisch übersehen werden.“

Pierre kommentiert die Unfähigkeit der französischen Behörden so: „Das ist eine Ungerechtigkeit! Die Regierung weiß von unserer Existenz, sobald wir unsere Papiere beantragen. Aber einige Menschen sind einfach vergessen worden“. Die Asylsuchenden wurden bei der öffentlichen Verteilung von Lebensmitteln in der Tat übersehen. An Polizeipräsenz mangelt es auf der Insel nicht. Mit dem Verstoß gegen die Ausgangsbeschränkungen geht daher das Risiko einer Geldstrafe einher. Malek beobachtet: „Die meisten Menschen halten sich an die Beschränkungen, aber andere beachten sie nicht. Sie können nicht mit gefesselten Händen zu Hause bleiben und sich ihrem Schicksal ergeben“.

Ebenso wie Malek entschied Pierre sich zu helfen. Mithilfe von Freund*innen und Verwandten im Ausland baute er ein internationales Netzwerk auf, das Gelder sammelt, um Nahrungsmittel für die Bedürftigen kaufen und verteilen zu können. „Die Menschen hatten ihre Hoffnung verloren, aber die Hilfsaktion hat sie ihnen zurückgegeben. Jetzt können sie wieder leben – dank der Hilfe von Menschen, die sie nicht einmal kennen. Es scheint für sie wie ein Wunder zu sein.“ Nichtsdestotrotz bleiben sie auf die Hilfe von Pierre und seinem Netzwerk angewiesen, zumindest für die Dauer der Ausgangssperre.

Photo: Elena Iwanski

Die Hilfsaktion hat viele Asylsuchende in allerletzter Minute erreicht, aber die grundsätzlichen Probleme bleiben dieselben. Während Präsident Macron die Beschränkungen auf dem Festland langsam (und eine Woche später auch in Mayotte) aufhebt, hat Covid-19 die bestehenden Ungleichheiten weiter verschärft.

„Wir sind nicht nach Mayotte gekommen, um uns zu amüsieren. Wir haben unsere Heimatländer verlassen, weil wir dort mit vielen Problemen konfrontiert waren. Um unser Leben zu retten, mussten wir unser altes Leben hinter uns lassen“, erklärt Pierre. Er wird die Verteilung der Lebensmittel fortsetzen, bis sich die Lage stabilisiert hat.

Auch Malek setzt seine ehrenamtliche Arbeit als Übersetzer fort, während er auf eine positive Entscheidung von OFPRA wartet, und darauf, dass seine Familie sich ihm anschließt. „Die Internetverbindung in den Dörfern im Jemen ist so schlecht, dass ich nicht einmal Videogespräche führen kann, um meine Frau und meine Tochter zu sehen“, bemerkt er. Seine größte Hoffnung ist es, sich endlich niederzulassen und zu arbeiten: „Es spielt keine Rolle, ob es in Mayotte, La Réunion oder auf dem europäischen Festland sein wird. Alles, was ich will, ist in Frieden zu leben“.

Kurz bevor er sein Zimmer verlassen musste, hat Malek glücklicherweise eine andere provisorische Unterkunft gefunden. Es ist zwar nur ein Zimmer im Souterrain, aber immerhin ist es erschwinglich und bietet ihm ein Dach über dem Kopf – ein Hoffnungsschimmer in schwierigen Zeiten.

Dieser Artikel wurde zuerst bei treffpunkteuropa.de veröffentlicht. treffpunkteuropa.de ist das Magazin der Jungen Europäischen Föderalisten. Die dort erscheinenden Inhalte werden auch in französischer, englischer und deutscher Sprache veröffentlicht.

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Leben in Quarantäne: Zwischen Angst und Hoffnung https://de.meetinghalfway.eu/2020/03/leben-in-quarantane-zwischen-angst-und-hoffnung/ https://de.meetinghalfway.eu/2020/03/leben-in-quarantane-zwischen-angst-und-hoffnung/#respond Sat, 21 Mar 2020 13:25:58 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=1910 Ganz Italien steht wegen der aktuellen Corona-Pandemie seit dem neunten März unter Quarantäne. Anfangs begriffen wir nicht die Dringlichkeit, mit der uns die Regierung aufforderte, zuhause zu bleiben. Wir gingen weiter shoppen, manche gingen abends mit ihren Freunden aus, Gruppen von jungen Leuten trafen sich in Parks, um die ersten warmen Frühlingstage zu genießen. Aber die Zahl der Infizierten stieg, die Zahl der Toten begann, uns Angst zu machen und die Berichte von den Intensivstationen machten uns klar, dass es sich um etwas Ernstes handelte.

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Milena, eines der Mitglieder unseres MH-Herausgeberteams, teilt ihre Erfahrungen im täglichen Kampf gegen die Corona-Pandemie, die sich immer mehr zu unserem schlimmsten Alptraum entwickelt. Sie ist Italienerin, europäische Mitbürgerin und ihre Geschichte spiegelt wider, was wir alle in dieser schwierigen Zeit erleben. Oder mit ihren Worten: “Wir stecken da alle zusammen drin.”

Ganz Italien steht wegen der aktuellen Corona-Pandemie seit dem neunten März unter Quarantäne. Anfangs begriffen wir nicht die Dringlichkeit, mit der uns die Regierung aufforderte, zuhause zu bleiben. Wir gingen weiter shoppen, manche gingen abends mit ihren Freunden aus, Gruppen von jungen Leuten trafen sich in Parks, um die ersten warmen Frühlingstage zu genießen. Aber die Zahl der Infizierten stieg, die Zahl der Toten begann, uns Angst zu machen und die Berichte von den Intensivstationen machten uns klar, dass es sich um etwas Ernstes handelte.

Von Milena Parotti / 21.3.2020

Photographer: Kaitlyn Baker // unsplash.com

“Zuhause bleiben” wurde zum Gebot der Stunde, die Antwort auf alle Fragen. Es ist beängstigend, es ist nervig, es ist frustrierend – wir hatten Pläne, wie alle anderen auch. Ich hatte schon das ganze Jahr 2020 durchgeplant: Prüfungen, ein Auslandspraktikum, Abschlussarbeit, Studienabschluss. Mit einem Mal war alles zerstört. Ich fühlte mich machtlos, ich dachte die ganze Zeit: “Das ist nicht fair.” Ich brauchte einen oder zwei Tage, um mich selbst zu überzeugen, dass ich diese Pläne auf Eis legen musste; im Moment musste ich schlicht aufgeben und ein neues Leben beginnen: das Leben in Quarantäne.

Wut und Frustration wichen bald Hoffnung. Ich hatte Glück gehabt: Ärzte und Krankenpfleger arbeiten gerade rund um die Uhr, riskieren ihre eigene Gesundheit, um anderen das Leben zu retten. Sie sind die wahren Helden der Stunde. Weder habe ich einen Laden, der schließen musste, noch bin ich eine Mutter, die sich zuhause um ihre Kinder kümmern muss, während sie weiterhin arbeitet. Ich habe keine Großeltern, deren Leben gefährdet wäre. Alles, was ich tun muss, ist zuhause bleiben. Und das ist wohl nicht so schlimm!

Die Medien und sozialen Netzwerke bombardieren uns gerade mit Zahlen und Daten und obwohl ich mich ständig mit diesem Thema beschäftige, habe ich mich mit dem Leben zuhause arrangiert.

Die Technik ist mein bester Freund; ich würde nicht ohne das Internet überleben, wie ich zugeben muss. Nicht nur kann ich weiterhin lernen, mich auf Prüfungen vorbereiten und meine Abschlussarbeit schreiben, sondern auch zahllose andere Dinge mit meinem Smartphone oder Computer tun! Wir alle wissen, wie einfach es ist, Zeit auf Netflix zu verbringen, aber das ist nicht alles. Wir haben all die Podcasts, Webinare, MOOCs, virtuellen Museen, Ebooks … Außerdem nutze ich diese Auszeit, um die langweiligen Aufgaben in Angriff zu nehmen, vor denen ich mich sonst immer drücke, etwa Putzen oder meine Dateien und Mails organisieren. Und natürlich habe ich auch mehr auf Meeting Halfway gearbeitet als sonst!

Photographer: Samantha Gades // unsplash.com

Zuhause bleiben bedeutet allerdings nicht, den ganzen Tag mit Technik zu verbringen. Ich habe das Haus aufgeräumt. Ich lese endlich all die Bücher, die ich immer kaufe und nie lese, ich spiele mehr mit meinem Hund (und glücklicherweise habe ich dank ihm eine Ausrede, jeden Tag einen kurzen Spaziergang zu machen) und ich spiele wieder Karten mit meiner Familie, was wirklich Spaß macht.

Es ist schwierig, positiv zu bleiben, die Hoffnung nicht zu verlieren, ewig auf bessere Zeit zu warten. Daran gewöhnt man sich nie, besonders, wenn man jemanden vermisst, den man nicht sehen kann oder wenn man keine Pläne für die Zukunft machen kann. Aber zuhause zu bleiben ist der einzige Weg, diesen unsichtbaren Feind aufzuhalten. Deshalb möchte ich eine Botschaft an all unsere Leser in Europa senden: Bleibt zuhause, trefft euch nicht mit Freunden, auch wenn eure Regierung das noch erlaubt! Wascht eure Hände, fasst euch nicht ins Gesicht, haltet Abstand von anderen Leuten.

Wir stecken da alle zusammen drin, wir werden es überstehen.

Autorin

Milena Parotti (Italy)

Studium: Öffentliche und politische Kommunikation

Sprachen: Italienisch, Englisch, Französisch, Deutsch

Europa ist… eine große Familie, in der Unterschiede Stärken sind.

Übersetzer

Birger Niehaus (Deutschland)

Studium: Deutsch / Skandinavistik

Sprachen: Deutsch, Englisch, Schwedisch, ein bisschen Isländisch und Finnisch

Europa ist … dieses Fleckchen zwischen Alaska und Västerås.

Blog: anseranser.blog

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Ein Interview mit Oz Karahan https://de.meetinghalfway.eu/2019/07/ein-interview-mit-oz-karahan/ https://de.meetinghalfway.eu/2019/07/ein-interview-mit-oz-karahan/#respond Wed, 24 Jul 2019 07:30:34 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=1809 Ein Interview mit Oz Karahan - einem ehemaligen Kandidaten des Europäischen Parlaments und Präsidenten der Organisation „Union der Zyprioten“.
„In Europa haben die Politiker und die Öffentlichkeit keine Ahnung davon, was in Zypern vor sich geht und wie unblutig der Völkermord ist, dem türkischsprachige Zyprioten wegen der Türkei ausgesetzt sind.”

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Ein Interview mit Oz Karahan – einem ehemaligen Kandidaten des Europäischen Parlaments und Präsidenten der Organisation „Union der Zyprioten“.
„In Europa haben die Politiker und die Öffentlichkeit keine Ahnung davon, was in Zypern vor sich geht und wie unblutig der Völkermord ist, dem türkischsprachige Zyprioten wegen der Türkei ausgesetzt sind.”

Von Elke Schneider / 24.07.2019

Oz Karahan

Die Wahlen zum Europäischen Parlament sind für die Europäische Union von großer Bedeutung. In diesem Jahr haben wir einen großen Kampf zwischen Sozialdemokraten, Rechtspopulisten, Grünen und anderen erlebt. Aber der kleine Inselstaat Zypern hatte eine andere Art von Wettbewerb. In diesem Jahr nahmen zum ersten Mal türkische Zyprioten mit hohem Bekanntheitsgrad an den Wahlen teil. Am Ende bekam ein türkischsprachiger Zypriot einen von insgesamt sechs Sitzen, die der Republik Zypern zugewiesen sind.
Vor den Wahlen habe ich den 29-jährigen Oz Karahan interviewt, eine wichtige politische Figur für die zypriotische Gemeinschaft. Er ist Präsident der fortschrittlichen zypriotischen nationalistischen Organisation „Union der Zyprioten”. Oz Karahan war auch MdEP-Kandidat von Sener Levents „Jasmine Movement”. Er und seine Organisation kämpfen gegen die politischen Flügel, die sich im Orbit von Griechenland und der Türkei auf der Insel befinden, und plädieren dafür, dass Zypern nur unabhängig sein kann, wenn sie für die Idee kämpfen, die mit ihrem Motto „Zypern für Zyprioten” übereinstimmt.

Elke Schneider: Diese Wahl ist für Zypern aufgrund der starken Kandidaten, welche daran teilnehmen, von historischer Bedeutung. Und zweifellos ist einer davon Sener Levent, der legendäre Journalist, der gegen die türkische Besatzung und gegen Erdogan, den Präsidenten der Türkei kämpft. Der Verband der Zyprioten und Sie selbst sind ebenfalls bekannte Namen, die sich aktiv für die gleichen Ziele einsetzen. Könnten Sie unseren Lesern mitteilen, wie diese wichtigen politischen Akteure zusammengekommen sind?

Oz Karahan: Erstens haben wir einen Vorteil, nämlich die Tatsache, dass Zypern eine kleine Insel ist und alle, die am Kampf teilnehmen, sich sehr gut kennen. Wie Sie wissen, ist unser schönes Land seit 1974 besetzt, und die Unterdrückung der Türkei gegen die türkischsprachigen Zyprer, die in den besetzten Ländern gefangen sind, hat nach den „türkisch-zyprischen Protesten 2011″ dramatisch zugenommen. Die Angriffe auf die Zeitung „Afrika“, die am 22. Januar 2018 stattfanden, waren der Punkt, an dem wir erkannt haben, dass wir uns als fortschrittliche Kräfte zusammenschließen müssen, um gegen die illegale Präsenz der Türkei auf der Insel zu kämpfen. In diesem Sinne wurde eine gemeinsame Liste wichtiger zypriotischer Persönlichkeiten erstellt, die in der Gesellschaft bekannt sind und an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen.

Elke Schneider: Bitte erzählen Sie uns ein wenig über sich selbst und über Ihren Hintergrund.

Oz Karahan: Ich wurde im April 1990 geboren und begann mit meinen politischen Aktivismus schon sehr früh. Nachdem ich meine Jugendzeit in Famagusta verbracht hatte und Teil verschiedener Formationen war, leitete ich die Jugendorganisation „LINOBAMBAKI”, die eine der Grenzorganisationen bei den Protesten gegen die Türkei im Jahr 2011 darstellte. Nach meinem Studium in der Tschechischen Republik zog ich zunächst in die Vereinigten Staaten und war in der Kommunistischen Partei der USA tätig und reiste später für kurze Zeit nach Schweden. Dort war ich in der kommunistischen Partei „Kommunistiska Partiet“ tätig. Ich war einer der Gründer der „World Union of Turkish-speaking Cypriots (WUTC)”, welche später zur Union of Cypriots wurde. Derzeit bin ich Präsident der „Union der Zyprioten”, eine der größten Organisationen, die für die Unabhängigkeit Zyperns kämpft. Und nun ein MdEP-Kandidat der Jasminbewegung.

Elke Schneider: Wow, interessante Geschichte. Aber warum sind Sie politisch aktiv geworden? Gab es etwas, das Ihren politischen Aktivismus ausgelöst hat?

Oz Karahan: Ich denke, die beste Antwort sind die Umstände. Wenn man unter der türkischen Unterdrückung lebt und sieht, dass seine Kultur jeden Tag von einigen Außenstehenden angegriffen wird, will man zurückschlagen.

Organisation „Union der Zyprioten“

Nach der Besetzung hatte Zypern die besten Chancen, wieder mit einem UN-Plan vereint zu werden, der 2004 nach Kofi Annan benannt wurde. Dieser Vorschlag wurde von 65 % der türkischen Zyprioten unterstützt, aber nur von 24 % der griechischen Zyprioten. Die Aggression der Türkei gegen die türkischen Zyprioten wurde mit Erdogans politischem Weg zu einer diktatorischeren Figur noch intensiver. Aber im Gegensatz zu seinen eigenen Bürgern gehorchten die türkischen Zyprioten ihm nicht. 2011 gab es dann Massenproteste gegen die Türkei, die als „Communal Survival Rallies” bezeichnet wurden. Diese Art von Anti-Türkei-Protesten von türkischsprachigen Zyprioten brechen in den besetzten Gebieten Zyperns immer wieder aus.

 

Elke Schneider: Bitte erzählen Sie uns kurz, was in den besetzten Teilen Zyperns passiert, für die Leser, die nicht so sehr mit dem Thema vertraut sind.

Oz Karahan: Wie Sie wissen, war Zypern bis zur Erlangung der Unabhängigkeit 1960 eine britische Kolonie. In dieser Zeit erlangten die meisten Kolonien ihre „Unabhängigkeit”. Aber natürlich wollten die Imperialisten eine Insel, einen Schlüssel zum Nahen Osten und einen unsinkbaren Flugzeugträger – Zypern – nicht so einfach verlassen. Zunächst versuchten sie kurz nach der Unabhängigkeit mit ihren Marionetten Griechenland und Türkei einen interkommunalen Konflikt in Zypern zu schaffen. Viele fortschrittliche Zyprioten aus beiden Gemeinschaften, die für ein vereintes, unabhängiges Zypern kämpften, wurden von griechischen und turkophilen bewaffneten Formationen zum Schweigen gebracht. Und später, nach dem von den USA unterstützten faschistischen Putsch in Griechenland, unternahm Zypern einen Putschversuch, ausgehend von einer Gruppe griechischsprachiger, zyprischer Bürger, der schließlich zur türkischen Invasion führte.

Elke Schneider: Und heute…

Oz Karahan: Seitdem haben wir eine Insel, deren eine Hälfte besetzt ist, einen nicht anerkannten Marionettenstaat im Norden, der von der Türkei kontrolliert wird und Hunderttausende illegale türkische Siedler, die aus Anatolien in die besetzten Gebiete geschickt wurden. Das Thema „illegale Siedler” ist sehr wichtig, da es das wichtigste Instrument der Türkei ist, um die besetzten Gebiete vollständig zu kolonisieren und die im Norden gefangenen türkischsprachigen Zyprioten sozial, kulturell und wirtschaftlich zu unterdrücken. Historisch gesehen sind die türkischsprachigen Zyprioten noch nie gut mit der Türkei zurechtgekommen. Der Grund dafür sind die kulturellen und sozialen Unterschiede zwischen ihnen. Türkischsprachige Zyprioten sind keine ethnischen oder kulturellen Türken, auch wenn Briten und Türken versuchen, dies mit der von ihnen erfundenen künstlichen Geschichte anders zu beweisen. Teilen und erobern war das Spiel, das hier gespielt wurde. Wie das, was in vielen anderen Kolonien geschah, nachdem die Kolonialisten gegangen waren. Türkischsprachige Zyprioten sind im Grunde genommen Menschen, die sich zu osmanischer Zeit bekehrt haben, um ihr Leben zu retten und Besteuerung zu verhindern. Daher ist die türkischsprachige zypriotische Kultur eine der weltlichsten und antireligiösesten Kulturen der Welt, eine Tatsache, die der Türkei nicht gefällt. Und heute, wegen der Besetzung, muss diese europäische Gemeinschaft mit Anatoliern leben, die völlig entgegengesetzte Werte haben.

Elke Schneider: Das ist ein großes Problem. Und wir wissen auch, dass heute die Zahl der illegalen Siedler in den besetzten Gebieten viel größer ist als die der Zyprioten.

Oz Karahan: Genau. Auch wenn die Türkei versucht, dies zu verbergen, um nicht die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft zu erregen, leben anderthalb Millionen illegale türkische Siedler in den besetzten Gebieten. Und die türkischsprachigen Zyprioten sind nur hunderttausend. Aufgrund der Türkei und der Unterdrückung der Siedler verlassen jeden Tag Zyprioten die Insel, und das bedeutet, dass die Kolonisierung der besetzten Gebiete so schnell wie möglich abgeschlossen sein wird. Deshalb kämpfen wir darum, in unseren Ländern weiterzuexistieren und setzen uns dafür in zwischenstaatlichen Organisationen ein. Denn leider wollen heutzutage alle politischen Seiten die Kontinuität des aktuellen Status quo. Während die Türkei wertvolle Länder kolonisiert, verfolgen die Regierungen der Republik Zypern eine Art „föderale“ Lösung, die es der Türkei ermöglichen soll, für immer auf der Insel zu bleiben.

Elke Schneider: Tragisch. . . . . Was sind die Hauptziele der Union der Zyprioten? Was halten Sie von der Lösung der Zypern-Frage?

Oz Karahan: Wir unterstützen und fördern den Zyprismus (zypriotischer Nationalismus) mit seinen fortschrittlichen Werten. Wir glauben an ein einheitliches Zypern mit den Prinzipien „eine Nation, eine Flagge, ein Heimatland und ein Staat”.

Bei den Europawahlen hatten die türkischen Zyprioten mit Niyazi Kizilyurek einen weiteren starken Kandidaten, der einen Sitz im Parlament gewann. Er ist Professor und glaubt fest an den Föderalismus. Und er war Kandidat einer der größten politischen Parteien Zyperns, der AKEL. Viele glauben, dass AKEL diesen Schritt lediglich gemacht hat, um die Stimmen der Jasminbewegung zu teilen. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen Niyazi Kizilyurek und Oz Karahan und das ist ihre Sicht auf die Türkei. Niyazi Kizilyurek hat sehr enge Beziehungen zu türkischen Institutionen und Politikern. Deshalb zögert er, sich deutlich zu äußern, wenn türkische Themen behandelt werden. Oz Karahan und andere Kandidaten der Jasminbewegung haben dagegen eine lange Tradition im offenen Kampf gegen die Türkei.

 

Elke Schneider: Sie nehmen derzeit an Wahlen mit anderen politischen Parteien teil, die von großen Unternehmen und Finanzgruppen finanziert werden. Wie werden Sie diese großen Ressourcenunterschiede zwischen Ihnen und den Finanzierungsgebern überwinden?

Oz Karahan: Wie Sie wissen, werden viele politische Parteien von einigen Interessengruppen finanziert. Das ist eine ekelhafte Situation. Das Gleiche gilt für Zypern. Ja, Sie haben Recht mit der Tatsache, dass sie Geld und Mitarbeiter haben, die für die Kampagnen für ihre Kandidaten bezahlt werden, dass sie ausgefallene und teure PR-Kampagnen durchführen und dass sie von den politischen Parteien, die den Status quo bewachen, unterstützt werden. Aber wir brauchen sowieso nichts davon. Wir sind eine Basisbewegung und wir erhalten unsere Unterstützung direkt von normalen Zyprioten, die sich um ihre Zukunft und ihre Kinder sorgen. Und wir glauben, dass dies der größte Reichtum und die größte PR ist.

Elke Schneider: Ich möchte Ihnen nun eine letzte Frage zu Ihren Plänen nach dem 26. Mai stellen, falls Sie gewählt werden. Was werden die Hauptthemen sein, für die Sie im Europäischen Parlament kämpfen werden? Der Grund, warum ich diese Frage stelle, ist, dass wir gesehen haben, wie einige der Kandidaten der größten griechisch-zyprischen politischen Partei Erklärungen über ihre Unterstützung für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union abgegeben haben. Was ist Ihre Meinung dazu?

Oz Karahan: Meine Meinung zu dem Punkt, den Sie zuletzt erwähnt haben, ist, dass diese Aussagen lediglich Verrat sind. Es ist eine Tatsache, dass sich einige politische Parteien und Politiker in einem Zustand der Finsternis der Vernunft befinden. Aber es ist ein wenig krank, diese Dinge über das Land zu erzählen, welches die Hälfte des Landes illegal besetzt hält. Darüber hinaus sprechen wir von einem diktatorischen Regime, das unzählige Journalisten, Studenten, Akademiker und Politiker in Gefängnissen eingesperrt hat. Ich bin also sprachlos, wenn ich solche Aussagen von irgendeinem Zyprioten höre, denn das sind nicht die Dinge, die ein Patriot oder gar Humanist sagen würde. Abgesehen von all dem richtet sich das türkische Regime an Menschen wie Sener Levent, die für die Unabhängigkeit Zyperns und der Zyprioten kämpfen. Einige griechischsprachige zypriotische Beamte zögern jedoch nicht, in Familienfotos zu posieren oder nur wenige Wochen nach den Angriffen auf die Afrika-Zeitung vom 22. Januar 2018 mit Erdogans Kabinett zu romantischen Abendessen in die Türkei zu fliegen. Vergessen wir für eine Sekunde die Fakten, dass die Türkei das Land ist, das die Hälfte unserer kleinen Insel illegal besetzt. Wir sind zypriotische Bürger und das sind die Sorgen, die uns unsere eigene Regierung(!) wegen der Verteidigung unseres Staates verursacht. Das ist verdreht, aber das ist das Klima, in dem wir unseren Kampf fortsetzen. Lassen Sie mich Ihre ersten Punkte in diesem Zusammenhang beantworten. Wenn ich gewählt werde, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um das internationale politische Umfeld über die Geschehnisse in Zypern und die Bedeutung der Beendigung des Kolonisationsplans der Türkei für die besetzten Gebiete zu informieren und zu sensibilisieren.

 

Zypern ist eines der kleinsten Länder der Europäischen Union, aber die Polarisierung in seiner winzigen Gesellschaftist eine der größten. Wer jedoch seine eigenen Bürger für diese Situation beschuldigt, macht es sich zu leicht. Am Ende sprechen wir wirklich von einem maßgeschneiderten sicheren Land für westliche Imperialisten, um Nahasien zu kontrollieren, und sie sind diejenigen, die dieses soziale und politische Chaos schaffen. Menschen wie Oz Karahan oder Organisationen wie die Union der Zyprioten für ihren Kampf gegen die Kolonialisten zu unterstützen, ist daher eine Pflicht von uns allen, von allen Progressiven der Welt.

Author

Elke Schneider

Translator

Julia Mayer (Deutschland)

Studium: Public Management

Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch

Europa ist... eine Werte- und Friedensgemeinschaft, die in dieser Form einzigartig ist, uns verbindet und unerlässlich für unser Zusammenleben ist.

Proofreader

Birger Niehaus (Deutschland)

Studium: Deutsch / Skandinavistik

Sprachen: Deutsch, Englisch, Schwedisch, ein bisschen Isländisch und Finnisch

Europa ist … dieses Fleckchen zwischen Alaska und Västerås.

Blog: anseranser.blog

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Wenn Menschen sterben, weil ihre Retter vor Gericht stehen https://de.meetinghalfway.eu/2018/07/wenn-menschen-sterben-weil-ihre-retter-vor-gericht-stehen/ https://de.meetinghalfway.eu/2018/07/wenn-menschen-sterben-weil-ihre-retter-vor-gericht-stehen/#comments Tue, 24 Jul 2018 18:33:07 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=1604 Während die Politik in Europa über symbolpolitische Maßnahmen diskutiert und Rechtspopulisten aller Länder versuchen, Abschiebungen durchzusetzen und Einwanderung zu verhindern, sterben auf dem Mittelmeer weiterhin hunderte Menschen bei dem Versuch, Europa auf dem Seeweg zu erreichen. Zivile Seenotretter geben ihr Bestes, um dies zu verhindern - und werden dafür zunehmend kritisiert und kriminalisiert. Wir haben mit Claus-Peter Reisch, dem Kapitän der Lifeline über die angespannte Situation gesprochen.

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Während die Politik in Europa über symbolpolitische Maßnahmen diskutiert und Rechtspopulisten aller Länder versuchen, Abschiebungen durchzusetzen und Einwanderung zu verhindern, sterben auf dem Mittelmeer weiterhin hunderte Menschen bei dem Versuch, Europa auf dem Seeweg zu erreichen. Zivile Seenotretter geben ihr Bestes, um dies zu verhindern – und werden dafür zunehmend kritisiert und kriminalisiert. Wir haben mit Claus-Peter Reisch, dem Kapitän der Lifeline über die angespannte Situation gesprochen.

Von Anja Meunier / 24.7.2018

Claus-Peter Reisch, Kapitän der Lifeline

Claus-Peter Reisch, Kapitän der Lifeline. Foto: Anja Meunier

Die Lifeline ist ein Rettungsschiff der zivilen Seenotrettungsorganisation MISSION LIFELINE, deren Crew im Mittelmeer Menschen vor dem Ertrinken rettet. Nachdem das Schiff im Juni 234 Menschen an Bord nahm, untersagten zunächst Italien, dann auch Malta das Anlegen in ihren Häfen. Erst nach weiteren fünf Tagen konnte das Schiff in Valetta, der Hauptstadt Maltas anlegen, jedoch wurde umgehend ein Verfahren gegen den Kapitän Claus-Peter Reisch eröffnet, sowie das Schiff beschlagnahmt. Wir haben Herr Reisch am Rande der “Ausgehetzt”-Demo in München getroffen.

MH: Herr Reisch, Ihr Schiff, die Lifeline, sitzt ja gerade in Malta fest und kann nicht auslaufen. Warum?

Reisch: Nicht nur unser Schiff sitzt in Malta fest und kann nicht auslaufen, sondern alle drei Schiffe, die in Malta normalerweise stationiert sind, dürfen nicht auslaufen. Eines nicht, weil die maltesische Verkehrsbehörde das untersagt, und wir nicht, weil man das Schiff als Beweismittel in dem Verfahren gegen mich beschlagnahmt hat. Wir sprechen eigentlich nur über die Gültigkeit eines Zertifikats, das weder abgelaufen, noch eine Fälschung ist. Man versteht da die Welt nicht mehr. Wir sprechen nicht mehr über Seenotrettung, und das ist eigentlich das Thema was mich bewegt.

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Seenotretter und Gerettete auf einem Schlauchboot. Foto: Danilo Campanilla / Mission Lifeline

MH: Sind momentan überhaupt irgendwelche anderen zivilen Schiffe zur Seenotrettung auf dem Mittelmeer unterwegs?

Reisch: Es gibt noch drei Schiffe, die unterwegs sind, aber die werden von Spanien aus gesteuert und bringen die Flüchtlinge auch nach Spanien. Die fahren dann die Menschen über große Distanzen, damit man sie aus dem Seenotrettungsgebiet weg hält. Die Häfen, in die wir die Menschen bringen, suchen wir uns ja nicht selbst aus, sondern die werden uns von Regierungsseite zugewiesen. Wir haben keine Wahl, wo wir die Leute hin bringen.

MH: Kritiker der Seenotrettung sagen ja, wenn es keine Rettungsschiffe gäbe, würden auch weniger Menschen diese Überfahrt wagen. Hat sich das jetzt in den letzten Wochen so bestätigt, wo weniger Seenotrettungsboote unterwegs waren?

Reisch: Nein, ganz im Gegenteil. Es sterben so viele Menschen wie nie zuvor, der Juli 2018 wird als der tödlichste Monats in die Geschichte der Seenotrettung eingehen. Die Schlepper interessiert es nicht, ob die Menschen überleben. Das Geschäft ist gemacht, es ist abkassiert, und die Menschen werden einfach auf dem Meer entsorgt.

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Gerettete Menschen auf dem Schiff. Foto: Hermine Poschmann / Mission Lifeline

MH: Die Boote, die Sie auf dem Meer antreffen, sind häufig komplett seeuntauglich. Wieso lassen sich die Geflüchteten darauf ein, in diese Boote einzusteigen?

Reisch: Naja, wissen Sie, die Menschen kennen kein Meer. Die kommen aus Subsahara Staaten, aus der Sahara, dort gibt es kein Meer, dort gibt es ein Sandmeer. Und die sehen dann irgendwann diese Wassermenge, die sie noch nie in ihrem Leben vorher gesehen haben, und dann bekommen natürlich viele Menschen Angst. Aber wenn sie nicht freiwillig in diese Boote einsteigen, dann werden am Strand auch mal so zwei oder drei erschossen, und dann steigt der Rest schon ein.

MISSION LIFELINE

Das Ziel der Organisation ist es, alle in Seenot befindlichen Menschen vor dem Tod durch Ertrinken zu bewahren. Dabei konzentrieren sie sich auf das Seegebiet, in welchem zurzeit weltweit am meisten Menschen sterben – das zentrale Mittelmeer. Mit ihrem Rettungsschiff LIFELINE suchen sie entlang der libyschen Küste in internationalen Gewässern nach Menschen in Seenot, retten und versorgen sie. Dabei kooperieren sie mit anderen Hilfs- und Rettungsorganisationen. So wurden 2017 mehrere hundert Menschenleben gerettet.

Falls du MISSION LIFELINE finanziell unerstützen möchtest, kannst du das mit einer Spende (IBAN: DE85 8509 0000 2852 2610 08) oder durch den Einkauf im Merchandising-Shop tun.

MH: Oft wird auch kritisiert, dass die Menschen anschließend nach Europa gebracht werden, anstatt sie wieder nach Libyen oder andere afrikanische Staaten zurück zu bringen. Was ist der Grund dafür?

Reisch: Da gibt’s mehrere Gründe. Der eine Grund ist, wir erhalten die Anweisung des Hafens, des so genannten Port of Safety, von der Rettungsleitstelle in Rom. Die weist uns einen Hafen an und dort haben wir hinzufahren. Ich hab hier keine freie Wahl. Punkt Zwei ist, es gibt die Genfer Flüchtlingskonvention, und in der heißt es, dass man Menschen in ein Land aus dem sie geflüchtet sind nicht zurückbringen darf. Ich müsste die Menschen nach Libyen zurückbringen. Das darf ich nicht. Da mache ich mich strafbar. Zudem wäre es für meine Mannschaft, und für mich, und für das Schiff höchst gefährlich in lybische Gewässer einzulaufen. Dort herrscht Bürgerkrieg, und wer fährt freiwillig in einem Bürgerkriegsland? Auch Tunesien schließt sich aus. Es ist zwar kein Bürgerkriegsland, aber es ist auch kein sehr sicheres Land. Die Leute werden dort in so genannten Kettenabschiebungen abgeschoben und Amnesty International berichtet aus Tunesien über Folter und Ähnliches.

Die Lifeline auf dem Mittelmeer.

Die Lifeline auf dem Mittelmeer. Foto: Hermine Poschmann / Mission Lifeline

MH: Die Anklage gegen Sie und die Festsetzung der Lifeline und anderer Schiffe hat eine große mediale Aufmerksamkeit gebracht. Wie erleben Sie die Stimmung in Bezug auf Seenotrettung?

Reisch: Ich glaube, dass vielen Leuten wieder bewusst geworden ist, dass dort im zentralen Mittelmeer massenhaft Menschen sterben, besonders durch die derzeitige Abwesenheit der privaten Seenotretter. Diese retten übrigens ohnehin „nur“ 40% der Menschen, den Rest erledigen Handelsschiffe und teilweise auch das Militär, was jetzt auch unterbunden werden soll. Wenn wir es nicht tun dann tut es niemand und die Menschen sterben dort einfach.

MH: Welche Fähigkeiten sollte man mitbringen, um sich in der zivilen Seenotrettung auf dem Schiff zu engagieren? Wer wird gebraucht?

Reisch: Wir bei Mission Lifeline sind immer froh um Maschinisten, um erfahrene Schiffsmechaniker, Schiffsbetriebstechniker, Ingenieure. Das ist eine ganz ganz wichtige Position auf dem Schiff. Es sind auch Nautiker gefragt, außerdem Rettungssanitäter, Elektriker, Ärzte aus dem Bereich Notarzt oder Chirurgie und erfahrene Krankenschwestern. Wir brauchen auch immer weibliches Personal auf dem Schiff, Weil wir ja auch viele Frauen und kleine Kinder da haben, und die haben einfach ein anderes Verhältnis zu einer weiblichen Ärztin oder Krankenschwester als zu einem Mann.

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Gerettete Menschen auf dem Schiff. Foto: Danilo Campanilla / Mission Lifeline

MH: Wie können diejenigen die Retter vom Land aus unterstützen, die sich diese schwierige Arbeit direkt auf dem Meer selbst nicht zutrauen?

Reisch: Zum einen natürlich auf alle Fälle durch Spenden. Wir finanzieren dieses Schiff ausschließlich aus Spenden. Ein Tag Mission Lifeline kostet 2500 €. Wir brauchen relativ viel Diesel, wir haben immer mal wieder Reparaturen, das ist völlig normal bei solchen Schiffen. Es werden auch Leute gesucht die uns in der Medienarbeit unterstützen, oder im Büro.

MH: Haben Sie konkrete Forderungen an die Regierungen, an die EU oder die Politik allgemein?

Reisch: Also zum einen darf Seenotrettung natürlich niemals kriminalisiert werden. Momentan versucht man ja, uns in diese Ecke zu drängen, was völlig unmöglich ist. Ich bin ein ehemaliger Geschäftsmann, ich hab es nicht nötig, mit Schlepperei Geld zu verdienen, was wir auch nicht tun. Das sind völlig haltlose Unterstellungen. Das muss aufhören. Wir müssen einen Status bekommen, so dass wir mit unseren Schiffen, mit unserer qualifizierten Mannschaften fahren können, das ist ganz wichtig. Und vor allem muss man endlich an die Fluchtursachen ran. Da redet man seit 30, 40 Jahren drüber, aber gemacht wird nix, es ist einfach nur Gelaber ohne Handlung dahinter.

Mehr Informationen dazu, wie du die Seenotretter unterstützen kannst, findest du hier.

Autorin

Anja Meunier (Deutschland)

Studium: Mathematik und Wirtschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch

Europa hat… schöne Länder, interessante Leute, einen tollen Lebensstil. Und muss zusammenhalten.

500px: Anja Meunier

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Gefangene Freigeister: Frauen im Iran https://de.meetinghalfway.eu/2018/02/gefangene-freigeister-frauen-im-iran/ https://de.meetinghalfway.eu/2018/02/gefangene-freigeister-frauen-im-iran/#respond Sat, 17 Feb 2018 12:12:34 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=1562 Sie gehen zur Universität, sitzen im Parlament und prägen die iranische Gesellschaft maßgeblich. Dennoch wird ihr Leben streng kontrolliert und beschränkt von den Männern der islamischen Revolution: ein kurzer Blick auf die Situation der Frauen im Iran.

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Sie gehen zur Universität, sitzen im Parlament und prägen die iranische Gesellschaft maßgeblich. Dennoch wird ihr Leben streng kontrolliert und beschränkt von den Männern der islamischen Revolution: ein kurzer Blick auf die Situation der Frauen im Iran.

Von Can Yildiz / 17.2.2018

Wenn man an den Iran denkt, kommen den meisten wohl zuallererst verschleierte Frauen und ein von Religion und Verboten geprägtes Leben in den Sinn. Die Realität sieht allerdings etwas anders aus. Frauen spielen eine deutlich aktivere Rolle und haben mehr Einfluss in der iranischen Gesellschaft, als vielen bewusst ist. So sind etwa 60% der Studierenden im Iran weiblich. Angesichts der Tatsache, dass der Iran ein theokratisch organisierter Staat ist, ist diese Rate, die in Europa in etwa gleich hoch liegt, bemerkenswert. An Bildung fehlt es den Frauen im Iran also nicht. So wurde in den 60er Jahren, zur Zeit der Monarchie, die Bildung von Frauen sogar explizit gefördert.

1979 spielten die Frauen eine entscheidende Rolle beim Sturz des Schahs in der Hoffnung auf eine demokratischere und freiere Zukunft. Die Islamische Revolution jedoch brachte genau das Gegenteil: Unterdrückung und Beschränkungen. Bei den selbstbewussten und gebildeten Frauen des Iran hinterließ das selbstverständlich viel Enttäuschung.

Die darauffolgende Diskriminierung der Frauen ist heute tief verankert im islamisch geprägten Staat im Nahen Osten. Die Verfassung verpflichtet den Staat in Art. 3 zwar „zur Beseitigung ungerechter Diskriminierung, zur Herstellung eines gerechten Zugangs zu sämtlichen materiellen und geistigen Gebieten für alle“, eine Pflicht zur Gleichberechtigung der Geschlechter wird in der Islamischen Republik davon jedoch nicht abgeleitet.

So dürfen Frauen bestimmte Berufe wie das Richteramt nicht ausüben, die Aussage einer Frau vor Gericht zählt nur halb so viel wie die eines Mannes. Doch die Diskriminierung macht auch vor dem Alltag keinen Halt: häusliche Gewalt gehört zur Tagesordnung, viele alltäglichen Dinge wie Ausgehen können schwerwiegende Folgen für iranische Frauen und Mädchen haben oder sind schlicht unmöglich.

Bei all diesen Verboten darf jedoch nicht vergessen werden, dass dahinter selbstbewusste und gebildete Frauen stehen, die sich gegen diese Unterdrückung wehren und zumindest all die Freiheit nutzen, die ihnen gegeben wird. Denn ganz wurden die Frauen nie vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, sie sind heute Journalistinnen, Lehrerinnen und sitzen sogar im Parlament. Die strengen Kleidungsvorschriften werden zumindest in den großen Städten großzügig interpretiert.

Sollte es also nochmal zu einer Revolution im Iran kommen, werden die Frauen an vorderster Front für Selbstverständliches einstehen: Freiheit, Gleichberechtigung und ein selbstbestimmtes Leben.

Dieser Artikel wurde zuerst bei treffpunkteuropa.de veröffentlicht. treffpunkteuropa.de ist das Magazin der Jungen Europäischen Föderalisten. Die dort erscheinenden Inhalte werden auch in französischer, spanischer, englischer und italienischer Sprache veröffentlicht.

Autor

Can Yildiz (Deutschland)

Studium: European Law

Sprachen: Deutsch, Französisch, Englisch, Niederländisch, Schwedisch, Türkisch, Spanisch

Europa ist… Freiheit, Frieden und Fortschritt.

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(K)eine Minderheit: Muslime zwischen Inklusion und Diskriminierung https://de.meetinghalfway.eu/2017/07/keine-minderheit-muslime-zwischen-inklusion-und-diskriminierung/ https://de.meetinghalfway.eu/2017/07/keine-minderheit-muslime-zwischen-inklusion-und-diskriminierung/#respond Tue, 11 Jul 2017 12:28:32 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=1464 Die Politikwissenschaftlerin Saskia Schäfer plädiert in einem Gastbeitrag dafür, dass die Bürger moderner Gesellschaften die Vielschichtigkeit, Temporalität, und Wandelbarkeit von Identitäten anerkennen.

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Die Politikwissenschaftlerin Saskia Schäfer plädiert in einem Gastbeitrag dafür, dass die Bürger moderner Gesellschaften die Vielschichtigkeit, Temporalität, und Wandelbarkeit von Identitäten anerkennen.

Von Saskia Schäfer / 11.7.2017

Im langen Interview mit Günter Gaus im Jahr 1964 erzählte Hannah Arendt, dass sie als kleines Kind „von Hause aus“ gar nicht gewusst habe, dass sie Jüdin war. Ihre gänzlich areligiöse Mutter habe dieses Wort zu Hause gar nicht benutzt, und erst irgendwann sei ihr durch antisemitische Kommentare anderer Kinder auf der Straße dieser Teil ihrer Identität bewusst geworden. Später, in der Schule, war sie dann angewiesen, bei antisemitischen Kommentaren durch Lehrer – meistens gegen osteuropäische jüdische Kinder- den Klassenraum sofort zu verlassen und den genauen Wortlaut ihrer Mutter zu Protokoll zu geben, die sich daraufhin beim Direktor beschwerte.

Ihre Meinung zur zentralen Wichtigkeit der jüdischen Identität festigte sich über die Jahre, schon vor dem Holocaust. Im Interview sagte sie: „Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen. Nicht als Deutscher oder als Bürger der Welt oder der Menschenrechte oder so.“

Und die Nachbarn? Auf welche Art und Weise verteidigt man diejenigen, die anhand ihrer Identität als nicht dazugehörig markiert werden?

In Zeiten des erstarkenden Nationalismus entlang ethnisch homogenisierender Identitätsvorstellungen sind heute nicht nur jüdische, sondern mit ihnen in wachsendem Ausmaße muslimische Europäer_innen vielfachen Angriffen ausgesetzt. In Deutschland reichen diese momentan von der unzulänglichen Aufarbeitung der rechtsextremen Hinrichtungen neun türkisch- und griechisch-deutscher Kleinstunternehmer bis zu täglich etwa zehn rassistisch motivierten Straftaten im Jahr 2016. Muslime und Musliminnen, Enkel und Enkelinnen ehemaliger Gastarbeiter und jene, die sich eine offene und vielfältige Gesellschaft wünschen, schließen sich zusammen und versuchen, der wachsenden nationalistischen Wut etwas entgegenzusetzen. Aber was? Mehr Kopftücher in die Talkshows, mehr religiöse Vielfalt im Schulunterricht, fordern die einen; Abschaffung der Privilegien der alteingesessenen Religionen, kontern die anderen.

Der Ethnologe Arjun Appadurai schrieb vor zehn Jahren ein Buch über „die Angst vor den kleinen Zahlen “ in dem er die Ursprünge sogenannter ethnischer Konflikte untersucht. Er argumentierte darin, dass die liberale politische Theorie ursprünglich Sonderrechte für Minderheiten vorgesehen hatte, die sie als prozedurale und temporäre Zusammenschlüsse von Menschen verstand. Hiermit wollten Denker wie John Stuart Mills und Alexis de Tocqueville politische Systeme vor der „Tyrannei der Mehrheit“ schützen. Nachdem sich dann die europäische Kategorisierung in verschiedene Rassen und Ethnien durch die Kolonialpolitik durchgesetzt und durch Volkszählungen und Landkarten verbreitet hatte, wurden diese Sonderrechte häufig auf sogenannte „substantielle Minderheiten“ übertragen, also auf Minderheiten, die entlang ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit fast unveränderlich festgeschrieben wurden. Statt sich in einem Jahr als ausgebeuteter Bauer für Landreformen und im nächsten als bildungsorientierter Vater für die Einrichtung und Ausstattung von Schulen einzusetzen, wurden Interessen nun langfristig bestimmten ethnisch markierten Minderheiten und Mehrheiten zugeschrieben, und zwar nicht nur von außen, sondern auch durch die Angehörigen dieser als Minderheiten deklarierter Kategorien selbst.

Diese Gebetsfahnen in der Provinz Yunnan im Südwesten Chinas weisen auf die dortige tibetische „ethnische Minderheit“ hin. Doch ist eine Kategorisierung in verschiedene Ethnien gerechtfertigt? © Hannah Illing

Ähnliche Spannungen zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Selbstrepräsentation von sogenannten Minderheiten sind mir in meiner eigenen Forschung zu öffentlichen Diskursen über Islam in Indonesien, dem weltweit bevölkerungsreichsten mehrheitlich muslimischen Land, begegnet. Dort werden seit der 1998 beginnenden Demokratisierung vermehrt die Angehörigen kleinerer und größerer muslimischer Organisationen, sowie LGBTQ–Muslime angegriffen. Die Vorwürfe lauten, dass sie die Praktiken und Symbole des Islam verwenden, obwohl sie Abtrünnige und damit keine Muslime seien. Diese Anschuldigungen finden sich in verschiedenen Formen, und auf verschiedenen Ebenen. Ein Beispiel ist das Gerücht, dass Angehörige der Ahmadiyya, einer im späten 19. Jahrhundert im damaligen Britisch-Indien gegründeten und nun weltweit tätigen Organisation, das islamische Glaubensbekenntnis (Schahāda) abgewandelt hätten – was einer schweren Beleidigung des Propheten gleichkäme. Dieses Gerücht entspricht nicht den tatsächlichen Praktiken der Ahmadiyya. Tatsächlich sprechen regelmäßig betende Ahmadis das Glaubensbekenntnis fünf Mal am Tag während ihres Gebetes. Doch selbst höchste Politiker befeuern dieses Gerücht regelmäßig, indem sie beispielsweise bei Konvertierungszeremonien ausrufen: „Gott sei Dank, die ehemaligen Ahmadis sprechen das Glaubensbekenntnis!“ Solche Aussagen werden schnell zu Schlagzeilen, und so halten sich Gerüchte, die Ahmadis würden den Propheten beleidigen. Als 2011 ein körperlicher Angriff auf eine Gruppe Ahmadis in West-Java für drei Ahmadis tödlich endete, wurden nicht nur die Täter sehr leicht bestraft, sondern es wurde außerdem das angeblich provozierende Verhalten der Ahmadis herausgestellt und ein als Aufrührer identifizierter für mehrere Monate inhaftiert.

Die Ahmadis haben begonnen, sich dagegen zu wehren, und es lässt sich ein Wandel der Repräsentation von Ahmadis in den Medien beobachten. Es wird deutlich, wie sie zunächst selbst gar nicht zu Wort kamen. Ihre Verteidigung übernahmen stattdessen Menschenrechtsaktivist_innen. Nach der Attacke in West-Java wurden schließlich auch Ahmadis selbst in die Talkshows eingeladen, und nachdem sich eine Handvoll Sprecher herauskristallisiert hatten, wurden deren Perspektiven auch in Artikeln erwähnt. Doch auf welche Art und Weise können sich die Ahmadis verteidigen, welche Argumente werden gehört? Meine Analyse des Diskurses zeigt, dass vor allem zwei Interpretationsschemata dominieren: das Argument der Religionsfreiheit für Minderheiten, und Nationalismus. Beides sind mächtige Diskurse in Indonesien. Meine These ist, dass Menschenrechte und Nationalismus als Rettungsleinen für die diskriminierten und marginalisierten Ahmadis zwar jetzt gerade noch funktionieren, dass aber die starke Reduktion der öffentlichen Diskurse auf nur diese beiden Interpretationsschemata langfristig gefährliche Folgen haben kann. Wie die Politikwissenschaftlerin Elizabeth Shakman-Hurd in ihrem neuesten Buch für den Bereich der Internationalen Beziehungen gezeigt hat, verschließt die Reduktion auf einen dominanten Aspekt der Identität die Möglichkeiten für vielfältige Allianzen. Wenn der Großteil der indonesischen Muslime in den Ahmadis keine Glaubensgeschwister sehen, hängt es von ihrer Akzeptanz der Menschenrechte und der Stärke des Nationalgefühls ab, ob sie den Ahmadis ihr Leben zubilligen. Und davon, ob sie die Ahmadis überhaupt noch als Menschen betrachten. Wie schnell sich Gesellschaften verändern, wie schnell als Gruppen markierte Kategorien aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden können, wissen wir genau. Aus der wackeligen Toleranz anhand eines oder weniger Identitätsmerkmale ergibt sich also die doppelte Gefahr, dass dieses Merkmal in einer Gesellschaft an Wichtigkeit verliert, oder dass die entsprechende Kategorie aus der Gruppe derjenigen herausfällt, die als dazugehörig verstanden werden.

Für die aktuelle Situation in Europa bedeutet das, dass es nicht nur darum gehen darf, das Recht meiner Nachbarinnen auf ihr Anderssein zu verteidigen, sondern zusätzlich immer wieder auch in Frage zu stellen, in welchem Ausmaß dieses Anderssein eigentlich existiert. Der Schweizer Islamwissenschaftler Tariq Ramadan findet, dass europäische Musliminnen und Muslime gar keine Minderheit sind, sondern einfach europäische Bürger. Vielmehr müssen wir also an die Vielschichtigkeit, Temporalität, und Wandelbarkeit von Identitäten anknüpfen, an die Identität als Arbeiterin, als Vater, als Handballspielerin, als Elternsprecher, als Chemikerin. Jenseits von Homogenisierungsphantasien erstarkender Nationalismen und der Zersplitterung in immer kleinteiligere Identitäten müssen Gesellschaften einen Weg finden, spezifische Identitäten anzuerkennen ohne diese der fluiden und immer wieder neu zu verhandelnden Formierung prozeduraler und problemorientierter Allianzen in den Weg zu stellen.

Dieser Artikel wurde zuerst bei treffpunkteuropa.de veröffentlicht. treffpunkteuropa.de ist das Magazin der Jungen Europäischen Föderalisten. Die dort erscheinenden Inhalte werden auch in französischer, spanischer, englischer und italienischer Sprache veröffentlicht.

Autorin

Saskia Schäfer (Deutschland)

Saskia Schäfer ist Politikwissenschaftlerin. Sie erhielt ihren Dr. phil. von der Freien Universität Berlin und hat Forschungsaufenthalte an der Columbia University in New York und an der Chinese University of Hong Kong absolviert. Ihre Forschungsinteressen beinhalten Diskurs- und Medienanalyse, religiöse und politische Autorität, Säkularismus, öffentliche Moral, islamischen Feminismus und Islam. Saskia Schäfer hat umfangreiche Forschungen in Südostasien durchgeführt.

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Gleich, ganz gleich, quasi egal https://de.meetinghalfway.eu/2017/06/gleich-ganz-gleich-quasi-egal/ https://de.meetinghalfway.eu/2017/06/gleich-ganz-gleich-quasi-egal/#respond Wed, 28 Jun 2017 13:41:32 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=1438 Der Kampf für Gleichberechtigung in Europa ist noch lange nicht vorbei. In ihrem sehr persönlichen Text schreibt die Poetry Slammerin Veronika Rieger über das Gefühl, wenn die eigene Liebe als zweitklassig eingestuft wird, und lenkt den Blick auf die Scheinheiligkeit der immer wieder vorgebrachten Argumente.

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Endlich rückt auch in Deutschland die Ehe für alle in greifbare Nähe, nachdem sich in einer repräsentativen Umfrage 83% der Befragten dafür ausgesprochen haben und im Wahlkampf der Druck auf konservative Parteien wächst – ganze 16 Jahre nachdem das Nachbarland Niederlande 2001 als erstes Land der Welt die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnete.

Außer in den Niederlanden ist in Europa die gleichgeschlechtliche Ehe der Ehe zwischen Mann und Frau bisher in Belgien (2003), Spanien (2005), Norwegen (2009), Schweden (2009), Portugal (2010), Island (2010), Dänemark (2012), Frankreich (2013), im Vereinigten Königreich (ohne Nordirland) (2014), Irland (2015), Luxemburg (2015) und Finnland (2017) gleichgestellt. Das sind nur 13 der 49 Staaten, die geographisch Europa zugeordnet werden, und nicht einmal die Hälfte der Europäischen Union.

Der Kampf für Gleichberechtigung in Europa ist also noch lange nicht vorbei. In ihrem sehr persönlichen Text schreibt die Poetry Slammerin Veronika Rieger über das Gefühl, wenn die eigene Liebe als zweitklassig eingestuft wird, und lenkt den Blick auf die Scheinheiligkeit der immer wieder vorgebrachten Argumente.

Gleich, ganz gleich, quasi egal

Ein Gastbeitrag von Veronika Rieger / 28.6.2017

 
Ein Auszug: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 3
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Ich wache auf. Nachtdunkle Schatten, Drehung nach links, Freundin schläft. Drehung nach rechts, Handy – an: Meldung, Shooting in Gay Club Pulse in Orlando jährt sich zum ersten Mal. 49 Menschen sind noch immer tot. Welt dreht sich weiter, ich mich auf den Rücken.

Wecker piepst, Freundin schlägt Augen auf, Augenaufschlag später Kaffeegeruch, Sätze werden langsam länger. U-Bahn-Stationen ziehen im Minutentakt an mir vorbei, Schuhsohlen stampfen in hohen hohlen Unigängen den Trott des Alltags.

Alltagsstressstunden später den Briefkasten ausleeren. Die, ernsthaft, fünfte Hochzeitseinladung für diesen Sommer drin finden, erstmal noch nen Kaffee kochen, Briefumschlag öffnen:

Übertrieben geschnörkelte Schrift überfliegen, verdammt, da muss man ernsthaft ne Antwortkarte zurückschicken, Ankreuzmöglichkeiten:

               1 Ich komme gerne

               2 Ich komme mit meinem Freund

Ich komme nicht klar auf Variante 2 – Kaffeetassen später viel zu aufgedreht. Dann halt raus. Freundin anrufen, Einkaufen gehen. Auf dem 983m langen Weg zur U-Bahn spießrutenlaufen um Blicke. Den fünfzehnjährigen Volldeppen natürlich keine kluge Antwort auf das „Scheiß Lesben“ zurückgerufen. Wieder U-Bahn-Fenster. In der Innenstadt spießrutenlaufen um Blicke und Wahlwerbung.

Ich bin politisch wirklich interessiert, aber ich hab selten so überhaupt keinen Bock auf Wahlen gehabt. Also so richtig Null Bock. Seitdem mir jede Partei sagt, dass sie ja voll liberal dafür sei, aber sich seit Jahren keine Partei bewegt um wirklich etwas zu erreichen, finde ich Parteien ungefähr so vertrauenserweckend wie die Horrorclowns im Westpark letztes Jahr.

Noch immer diese bescheuerte Hochzeitskarte in der Handtasche.

Am Marienplatz stehen noch immer die Pegida-Idioten, nur scheinbar werden sie immer jünger. Der in der Mitte könnte so alt wie mein Bruder sein. An den Bruder denken, der sich nicht mehr meldet, weil er überfordert ist, weil meine Liebe so überfordernd ist, er würde ja nichts fordern, nur was sollen denn die Leute denken.

In der U-Bahn vom Mann auf der Sitzbank gegenüber ungewollt ungefragt vollgelabert werden: Habt ihr Kinder? Seid ihr verheiratet?

Greife in die Handtasche, schneide mich an der verdammten Hochzeitseinladung. Herzblut auf weißem Büttenpapier.

Der Mann gegenüber von dir bohrt noch immer, du zu schüchtern, zu eingeschüchtert um was zu sagen bohrst deine Finger in meine Hand, ich denk, ich will dich heiraten irgendwann. Will deine Hand in meiner Hand haben dürfen mit diesen scheißverdammt viel zu teuren dämlichen Ringen dran und will dich Frau rufen dürfen und es wirklich so meinen. Also nicht jetzt, nicht morgen, nicht im nächsten Jahr, aber ich will wenigstens die Möglichkeit dazu haben, also irgendwann.

Dem Mann, möglichst freundlich, ins Gesicht blaffen, dass das sehr persönliche Fragen sind und ich diese nicht beantworten werde. Der Mann redet weiter, spricht irgendwas von keine Ehe für sowas, der Geduldsfaden reißt.

Ich will‘s mir nicht mehr sagen lassen.

Der nächste, der mir sagt, meine Liebe oder die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren sei nicht natürlich, der darf seine Biokenntnisse über das Sexualleben von Delfinen, Affen, Löwen, Giraffen, hunderten von Vögel, Hyänen, Schafen, Krabbelviechern und was weiß ich gerne auffrischen, aber nicht bei mir. Ganz nebenbei ist die Ehe im Übrigen nichts natürliches, sondern eine vom Staat eingerichtete Institution und damit ungefähr so natürlich und biologisch wie Plastikmüll.

Und wer mir sagt, dass die Ehe Mann und Frau vorbehalten sein muss, der darf gerne erklären ob und wie die mehr als zehn restlichen, biologisch anerkannten Kombinationen von X und Y Chromosomen sich dann das Ja-Wort geben dürfen und wieso genau Mann und Frau, also Mr. XY und Frau XX, diese Privilegien vor all den anderen Geschlechtlichkeiten haben dürfen.

Wenn wir‘s dann wiederum ganz platt an der Fortpflanzung festmachen, dann fordere ich nachhaltig den Entzug sämtlicher staatlicher Privilegien und des Ehestatusses für kinderlos gebliebene heterosexuelle Paare, das wäre die einzig logische Konsequenz.

Und wer mir jetzt sagt, dass die Ehe zwischen zwei Menschen die sich lieben und alt genug sind, das vor dem Staat zu bezeugen, gegen den Willen Gottes ist, der hat etwas an der Säkularisierung nicht verstanden.

Aber auch für die christlichen Hardliner unter den Parteien hab ich gern noch was zu sagen:

Wenn ihr sagt, dass meine Liebe gegen den Willen meines Gottes ist, dann seid ihr im Besitz von Gottes Weisheit. Da nur Gott im Besitz dieser Weisheit sein kann und über die Menschen richten darf, betitelt ihr euch mit dieser Aussage selbst als Gott und so blasphemisch und blöd können nicht mal die depperten Christdemokraten sein. Aber wer eine derartig menschenverabscheuende Asylpolitik fährt, der hat die Namensrechte am Wort Christus in seinem Namen eh verwirkt.

Es gibt kein Argument gegen die Ehe von gleichgeschlechtlichen Paaren, das heute noch sinnvoll greifen würde. Aber es gibt einen Grund dagegen zu sein: wenn man ein homophobes Arschloch ist.

Das alles fällt mir direkt vor die Füße des Mannes in der U-Bahn, aus Handtasche, großer Klappe, Hirn und Erinnerung, dazwischen liegen Wahlwerbezettel von Parteien die mir die „Ehe für alle“ noch vor der Wahl versprechen und das weiße Büttenpapier mit dem Blutfleck, der fast wie ein kleines Herz aussieht.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

§ 1 Ziel des Gesetzes
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Ich starre an die Decke über meinem Bett. Drehung nach links, Freundin schläft trotz laufender Serie. Drehung nach rechts, Handy – an: Meldung: 30 Jähriger schwuler Mann im Glockenbachviertel krankenhausreif geschlagen. Nächste Meldung: Die schwulen Ampelmännchen leuchten zum CSD wieder. Meine Nerven für das Thema sind noch immer tot. Welt dreht sich weiter, ich mich auf den Rücken.

Alle Menschen sind vor Gott gleich, meinten Sie.

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, haben Sie gesagt.

Scheint so, als wären 5,6 Millionen Deutsche halt doch ein bisschen weniger gleich als andere.

Autorin

Veronika Rieger (Deutschland)

Veronika Rieger ist Poetry Slammerin und seit Anfang 2016 auf den Bühnen unterwegs. Wenn sie nicht auf Bühnen unterwegs ist studiert sie evangelische Theologie auf Pfarramt.

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Quiz: Menschenrechte https://de.meetinghalfway.eu/2017/06/quiz-menschenrechte/ https://de.meetinghalfway.eu/2017/06/quiz-menschenrechte/#respond Thu, 01 Jun 2017 12:53:05 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=1401 Wenn man in der westlichen Welt lebt, ist es sehr einfach, die Existenz und die Durchsetzung von Menschenrechten für selbstverständlich zu halten. Und ehrlich gesagt, das sollten sie auch sein. Doch in einer Welt, in der Populismus und Narzissmus wieder an Auftrieb gewinnen, scheint dieses Thema so relevant wie lange nicht. Nichtnur im Gespräch über andere Länder und Kulturen, sondern auch hier, vor unserer eigenen Haustür. Zeit, dein Wissen über Menschenrechte zu beweisen - oder die Chance zu nutzen, einiges nachzuholen.

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Wenn man in der westlichen Welt lebt, ist es sehr einfach, die Existenz und die Durchsetzung von Menschenrechten für selbstverständlich zu halten. Und ehrlich gesagt, das sollten sie auch sein. Doch in einer Welt, in der Populismus und Narzissmus wieder an Auftrieb gewinnen, scheint dieses Thema so relevant wie lange nicht. Nicht nur im Gespräch über andere Länder und Kulturen, sondern auch hier, vor unserer eigenen Haustür. Zeit, dein Wissen über Menschenrechte zu beweisen – oder die Chance zu nutzen, einiges nachzuholen.

Von Anja Meunier / 1.6.2017

Hier gibt’s noch mehr Quizze.

 

Autorin

Anja Meunier (Deutschland)

Studium: Mathematik und Wirtschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch

Europa hat… schöne Länder, interessante Leute, einen tollen Lebensstil. Und muss zusammenhalten.

500px: Anja Meunier

Illustration

Luzie Gerb (Deutschland)

Studium: Kunstgeschichte, Kunsterziehung und Vergleichende Kulturwissenschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Schwedisch, Französisch

Europa ist… voller magischer Orte, interessanter Menschen und ihren Geschichten.

Webseite: luzie-gerb.de

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Die Sprache der Inklusion https://de.meetinghalfway.eu/2017/05/die-sprache-der-inklusion/ https://de.meetinghalfway.eu/2017/05/die-sprache-der-inklusion/#respond Sun, 07 May 2017 13:41:20 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=1387 Der Aufbau unserer Sprachen kann über die Zeit soziale Probleme bereiten – das ist vielen vermutlich schon vorher aufgefallen, dennoch ist es wichtig, das nochmal hervorzuheben. Sprache steht im Herzen einer jeden individuellen Erfahrung, jeder einzelnen Idee. Zugleich kann die Sprachstruktur unser Denken oft einschränken oder erweitern.

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Der Aufbau unserer Sprachen kann über die Zeit soziale Probleme bereiten – das ist vielen vermutlich schon vorher aufgefallen, dennoch ist es wichtig, das nochmal hervorzuheben. Sprache steht im Herzen einer jeden individuellen Erfahrung, jeder einzelnen Idee. Zugleich kann die Sprachstruktur unser Denken oft einschränken oder erweitern.

Von Ioana Cristina Cristocea / 7.5.2017

Das menschliche Gehirn denkt in einer Standardsprache. Menschen, die zwei- oder mehrsprachig aufwachsen, entdecken oft leichte Veränderungen in ihrer Persönlichkeit, je nachdem in welcher Sprache sie sprechen. Alleine diese Tatsache zeigt, dass bestimmte Strukturen durch die verwendete Sprache geformt werden. Es ist daher von großer Bedeutung, sich dieser Muster bewusst zu sein und sie, je nach Kontext, hinnehmen oder umgehen zu können.

Um aufzuzeigen, wie sehr wir uns der Sprache bewusst sein sollten, wollen wir zunächst das englische Wort „stranger“ genauer betrachten. Vermutlich die Hälfte von euch wird bei diesem Wort zunächst an eine Person denken, die jemanden unbekannt ist; die andere Hälfte wiederum sieht darin etwas, das mehr als merkwürdig ist. Um zu erklären, wie ein Wort zwei verschiedene Bedeutungen haben kann, können wir die Definitionen aus dem Wörterbuch zu Rate ziehen: Ein „stranger“ (auf Deutsch: Fremder) ist eine „Person, die einer anderen unbekannt ist, die sie nicht kennt“; „strange“ (auf Deutsch: merkwürdig / fremd) dagegen wird definiert als „ungewöhnlich und überraschend; etwas, das sich nur schwer verstehen oder erklären lässt“.

Suchen wir außerdem zum Beispiel noch nach dem englischen Wort „prejudice“. Es kann als Vorurteil übersetzt werden und bedeutet eine „voreilig gefasste Meinung, die nicht auf Erfahrung oder Tatsachen beruht“. Es kann jedoch auch eine andere Bedeutung haben, nämlich Schaden oder Nachteil, „der durch eine Handlung oder Beurteilung entsteht oder entstehen kann“.

Angesichts dieser Ähnlichkeiten kommen wir ins Stutzen: Haben diese Bedeutungen etwa einen gemeinsamen Ursprung und wenn ja, in welcher Form? Wollten unsere Vorfahren, die sich dieses verwirrende Sprachsystem ausgedacht haben, uns damit beibringen, dass ein Fremder jemand ist, vor dem man Angst haben sollte? Oder wollten sie uns eher darauf aufmerksam machen, dass eine vorgefertigte Meinung Schaden verursachen kann? Diese Übereinstimmungen, die wir hier aufgrund ihres verwirrenden Gebrauchs hervorgehoben haben, sollen uns als Beispiel dafür dienen, wie wichtig Sprache im täglichen Gebrauch ist.

In vielerlei Hinsicht öffnet Sprache uns Türen. Durch das Austauschen eines einzigen Wortes kann unser Standpunkt eine ganz neue Bedeutung bekommen und sehr viele neue Nuancen offenlegen, die ohne diese Änderung verloren wären. Worte können eine bestimmte Geisteshaltung ausdrücken, denn sie transportieren eine Vielzahl an Gefühlen, die bei deren Gebrauch mitschwingen. Diese Gefühle lassen sich leicht an andere vermitteln und können dann wiederum beim Gegenüber verschiedene Reaktionen auslösen. Ein Satz wie “Stranger things will happen” (“Es werden merkwürdige Dinge geschehen”) lässt euch vielleicht für einen kurzen Moment einen Schauer den Rücken herunterlaufen.

Es gibt noch viele weitere Probleme, die von der Sprachstruktur ausgehen. Die reine Existenz von geschlechterbasierter Kennzeichnung ist eines der häufigsten Probleme. In vielen Sprachen der Welt werden Berufe mit weiblichen oder männlichen Substantiven bezeichnet. Deutsch, Spanisch, Italienisch oder Rumänisch sind nur ein Teil der Sprachen, die diese alte Struktur beibehalten: “Profesor/ profesoara” im Rumänischen, “Lehrer/ Lehrerin” im Deutschen, “Maestro/ Maestra” im Spanischen. Es gibt absolut keinen Grund, weshalb das Geschlecht einer Person Einfluss auf deren Berufsausrichtung haben sollte, aber verschiedene Wortbenennungen suggerien uns, dies spiele eine Rolle.

Illustration: Begüm Saral

Zusätzlich findet man in der rumänischen Sprache ein besonders eindruckvolles Beispiel. Im Rumänischen wird das Word “om”, das so viel wie “Mensch” bedeutet, als neues Wort angesehen, das aus dem Französischen ins Rumänische übernommen wurde (solche Wörter nennt man „Neologismen“). Der Hintergrund für diese Entwicklung liegt darin, dass es zuvor schlicht kein Wort für ein menschliches Wesen gab und die Menschen andere Personen geschlechterbasiert benennen mussten: „Barbat” für männlich, „Muiere” für weiblich. Umso rätselhafter, wenn man bedenkt, dass “muiere” heutzutage eher abfällig verwendet wird, etwa dem alten Muster entsprechend, nach dem Frauen zu Männern gehören.

Dies alles sind nicht nur theoretische Überlegungen. Sprache hat einen direkten Effekt auf unsere Handlungen. Viele Studien legen nahe, dass Mädchen einen Beruf als schwerer zu erreichen ansehen, wenn er lediglich mit einem männlichen Substantiv beschrieben wird, als wenn er mit einem neutralen oder sowohl weiblich als auch männlichen Ausdruck bezeichnet wird.

Auch wenn es sich hier um isoliert betrachtete Beispiele handelt, sind sie nicht zufällig ausgewählt worden. Sie wurden ausgewählt, weil sie die semantische Familie dieser Artikelidee bilden, der Idee, dass wir den Kampf gegen Diskriminierung noch auf einem ganz anderen Feld angehen müssen. Selbstverständlich beschränkt sich die Problematik nicht auf Wörter mit doppelter Bedeutung oder geschlechterbasierte Benennungen.

Das Problem hat eine viel größere Tragweite. Es beinhaltet auch, eine Frau in einem Streit „Hure“ oder „Schlampe“ zu nennen. In den meisten Fällen bedeutet diese Wortwahl nicht, dass die Betreffende mit vielen Personen schläft, sondern es geht lediglich um eine allgemeine Beleidigung. Ganz offenkundig ist es nicht gerechtfertigt, jemanden danach zu beurteilen, mit wem oder wie vielen Personen er oder sie schläft. Es ist aber außerdem außerordentlich wichtig zu verstehen, dass der häufige Gebrauch als Schimpfwort mehr auslöst als „nur“ zu verletzen. Es bestärkt die stereotype Ansicht, dass Frauen die Anzahl ihrer Partner beschränken sollen. In ihm schwingt als Last die Vorstellung mit, dass Frauen Zugang zu ihrer eigenen Sexualität verwehrt wird. Das verletzt nicht nur, sondern vernichtet auch den Fortschritt, für den in der jüngsten Vergangenheit gekämpft wurde, insbesondere wenn man bedenkt, dass die männlichen Pendants „Hurenbock” oder „Player“ manchmal sogar mit Stolz getragen werden und damit nur die Ansicht verstärkt, dass ein Mann, der viele “Frauen erobert“, besonders männlich ist.

Ein ähnliches Muster ist zu erkennen, wenn ein abwertendes Wort gewählt wird, um über jemandes Rasse oder Ethnie zu sprechen. Bei der genauen Absicht mag es sich nur um einen Witz oder um eine absichtlich verletztende Bemerkung handeln, gewiss geht aber das Ergebnis bei weitem über die Person hinaus, um die es geht.

Die Wahl jedes einzelnen Wortes zählt, denn Worte können uns helfen, alte Ansichten aufzubrechen; oder sie können noch eine weitere Barriere zu dem Kampf hinzufügen, den wir alle führen sollten. Der erste Schritt ist, sich der Implikationen der Worte, die wir verwenden, bewusst zu werden. Worte zählen.

Autorin

Ioana Cristina Cristocea (Rumänien)

Studium: International Relations and European Studies

Sprachen: Rumänisch, Englisch, Französisch und ein bisschen Italienisch

Europa ist… eine Kultur, die gerade entsteht.

Illustration

Begüm Saral (Türkei)

Studium: Architektur

Sprachen: Türkisch, Englisch, Deutsch

Europa ist… eine große Landschaft.

IG: begum_saral

Übersetzung

Anik Weiß (Deutschland)

Arbeit: Übersetzerin / Projektmanagerin

Sprachen: Deutsch, Französisch, Englisch, ein bisschen Spanisch und Italienisch

Europa ist… vielfältig und voller spannender Kulturen, Menschen und Landschaften.

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Kulturelle Vielfalt ist Europas größte Stärke https://de.meetinghalfway.eu/2016/08/kulturelle-vielfalt-ist-europas-groesste-staerke/ https://de.meetinghalfway.eu/2016/08/kulturelle-vielfalt-ist-europas-groesste-staerke/#respond Fri, 26 Aug 2016 16:31:30 +0000 http://de.meetinghalfway.eu/?p=1173 In Europa ist es angesichts so vieler verschiedener Länder und Kulturen nur schwer vorstellbar, dass jeder mit jedem auskommen kann. Und doch klappt das Zusammenleben irgendwie, mal mehr, mal weniger. Neckereien und Streitereien kommen in den besten Familien vor. Doch wir sollten nie vergessen, dass diese Vielfalt unser größter Trumpf ist. Wir haben neun junge Menschen aus verschiedenen Gegenden Europas dazu befragt, was ihre Landsleute ihrer Meinung nach von anderen europäischen Ländern lernen könne und auch, in welchen Bereichen ihr Heimatland anderen Ländern in Europa ein Vorbild sein könnte.

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In Europa ist es angesichts so vieler verschiedener Länder und Kulturen nur schwer vorstellbar, dass jeder mit jedem auskommen kann. Und doch klappt das Zusammenleben irgendwie, mal mehr, mal weniger. Neckereien und Streitereien kommen in den besten Familien vor. Doch wir sollten nie vergessen, dass diese Vielfalt unser größter Trumpf ist. Wir haben neun junge Menschen aus verschiedenen Gegenden Europas dazu befragt, was ihre Landsleute ihrer Meinung nach von anderen europäischen Ländern lernen könnten und auch, in welchen Bereichen ihr Heimatland anderen Ländern in Europa ein Vorbild sein könnte.

Ignacio, Spanien

Was können die Leute in deinem Land von anderen Europäern lernen?

Ich denke, dass wir Spanier von anderen Europäern lernen könnten, wie man die Menschen zu einem guten Benehmen in unseren Dörfern und Städten bringt. Für mich ist es traurig zu sehen, dass wir, wenn wir in Europa verreisen, überrascht davon sind, wie andere Bürger Regeln befolgen und sich um das Zusammenwohnen bemühen, z.B. Regeln, die für die Sauberkeit und Ordnung in einem Dorf sorgen, oder wo öffentliches Gut respektiert wird. Und dann, wenn wir wieder zurück nach Hause kommen, sind wir weiter so selbstbezogen, dass wir nur das respektieren, was uns sofort einen persönlichen Vorteil verschafft.

Was können Andere von deinem Land lernen?

Ich denke, dass Menschen, die nach Spanien reisen oder hier einige Zeit verbringen, von unserer Spontanität und unserem Humor (oft auch schwarzem Humor) lernen können. Wir Spanier können gut über uns selbst lachen. Das macht es in schwierigen Situationen oft leichter, mit Problemen umzugehen. Wir können auch gut das Beste aus einem improvisierten oder kurz entschlossenen Plan machen, haben Freude an Kleinigkeiten und kümmern uns weniger darum, wie wir Zeit verbringen, sondern mit wem.

Volha, Weißrussland

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Was können die Leute in deinem Land von anderen Europäern lernen?

Weißrussen sind intelligente Menschen, aber im Alltag würde es ihnen helfen, kreativer und spontaner zu sein. Das können sie von anderen Europäern lernen, wenn wir Kontakte und Freundschaften zu ihnen aufbauen. Es fällt den Weißrussen schwer, witzig zu sein und über sich selbst zu lachen. Aber ich glaube, dass ein guter Sinn für Humor für einen intelligenten Menschen einen Mehrwert darstellt. Es ist trügerisch zu denken, alleine Ernsthaftigkeit würde ausreichen. Wir könnten von anderen Europäern lernen, humorvoll, witzig und ironisch zu sein, und das in allen Bereichen des Miteinanders anwenden.

Was können Andere von deinem Land lernen?

Die Weißrussen werden sicherlich für ihre Toleranz bewundert. Sie sind ein besonders offenes Volk und zeigen große Begeisterung, wenn sie etwas Neues über andere Kulturen erfahren. Eine starke nationale Ich-Bezogenheit ist in Weißrussland ebenso selten wie ein Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen. Andere Europäer können von den Weißrussen auch lernen, die eigene Kultur besser wertzuschätzen, denn viele von uns sind richtige Fans von einigen Ländern in Europa. Weißrussen finden immer etwas Aufregendes an einem anderen europäischen Land, auf das sie sich freuen (z.B. reichhaltiges Kulturerbe, hochmoderne Technologien, Lebensstil, Essen usw.). Dagegen sehen andere Europäer solche Dinge als normal an oder vergessen manchmal sogar die wertvollsten Errungenschaften ihrer Nation.

Laura, Italien

Was können die Leute in deinem Land von anderen Europäern lernen?

Ich finde, die Italiener sollten lernen, offener zu sein. Wir sind begeistert von unserer Kultur und unserer Tradition. Das hindert uns allerdings manchmal daran, zu erkennen, wie andere Länder es geschafft haben, Lösungen zu entwickeln und gesellschaftlich zu akzeptieren, wie zum Beispiel die Stiefkind-Adoption für homosexuelle Paare. Solche Themen werden von der italienischen Bevölkerung oft abgelehnt oder zumindest eher sorgenvoll betrachtet. Dadurch wirken wir altmodisch oder sogar selbstgerecht, aber wenn wir über unsere Landesgrenzen hinausschauen würden, könnten wir erkennen, dass uns mehr Modernität gut tun würde.

Was können Andere von deinem Land lernen?

Von den Italienern weiß man, dass sie mit jeder Situation umgehen können. Selbst wenn wir nicht das erreichen, was wir brauchen oder haben wollen, finden wir immer einen Weg zurechtzukommen. Wir sind Fremden gegenüber sehr hilfsbereit und versuchen immer dafür zu sorgen, dass jemand sich wohlfühlt.

Anniina, Finnland

Was können die Leute in deinem Land von anderen Europäern lernen?

Ich denke, die Menschen in Finnland könnten manchmal ein bisschen toleranter und offener sein, besonders die ältere Bevölkerung. Finnen sind freundliche und gutmütige Menschen, aber sie können etwas ignorant sein, denn Finnland ist ein kleines Land. In Europa zu reisen und andere europäische Länder kennenzulernen kann einem die Augen öffnen und dabei kann man einiges über unsere Unterschiede lernen, aber auch über all unsere Gemeinsamkeiten.

Was können Andere von deinem Land lernen?

Die Finnen sind normalerweise sehr ehrlich und rücksichtvoll gegenüber anderen. Sie respektieren jedermanns Privatsphäre und würden nicht ohne Grund ein Gespräch beginnen, obwohl das in anderen Ländern als unhöflich angesehen wird. In Großbritannien zum Beispiel ist es üblich, dass ein Kassierer im Supermarkt fragt, wie es einem geht. Das ist natürlich nett, aber manchmal auch ein bisschen überflüssig, weil die Antwort meist nicht wichtig ist. In Finnland dagegen sind die Menschen auf natürliche Weise freundlich und nicht gespielt höflich.

Anja, Deutschland

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Was können die Leute in deinem Land von anderen Europäern lernen?

Ich glaube Deutsche schätzen die schönen Dinge manchmal nicht genug und beschweren sich viel. Wir sollten mit dem was wir haben glücklicher sein und nicht immer nach mehr streben. Viele Deutsche beschweren sich zum Beispiel über Lärm, dabei ist Deutschland sowieso schon eines der ruhigsten Länder der Welt. Das Leben zu genießen ist etwas, was andere europäische Kulturen vielleicht besser können. Außerdem finde ich, Deutsche sollten Ihre Nase ein bisschen weniger in das Leben der anderen Leute stecken, und es sollte ihnen auch egaler sein, was andere über sie denken. Diese “Was würden die Nachbarn sagen?”-Mentalität ist noch ziemlich verbreitet, besonders in kleineren Orten.

Was können Andere von deinem Land lernen?

Viele Länder in Europa haben eine unruhige Vergangenheit. Trotzdem werden in vielen Fällen Teile der eigenen Geschichte nicht offen diskutiert, geleugnet oder glorifiziert, das finde ich nicht richtig. Deutschland hat es geschafft, seine Vergangenheit zu verarbeiten und darüber zu informieren. Ich denke andere Länder könnten von uns lernen, sich mit der nationalen Vergangenheit auseinanderzusetzen und sie zu reflektieren, um dann daraus zu lernen.

Sephora, Malta

Was können die Leute in deinem Land von anderen Europäern lernen?

Mehr Mitgefühl, mehr Toleranz. Ich bin leider der Ansicht, dass die Malteser oft zu verschlossen sind. Hat sich einmal ein Gedanke in ihrem Kopf festgesetzt, lässt dieser sich nur noch schwer ändern. Das ist besonders traurig, weil Traditionen und Ansichten über Generationen hinweg weitergegeben werden – eine Kettenreaktion. Ich wünsche mir auch, dass wir einen größeren Stolz auf unser Land und seine Erfolge empfinden. Die Menschen in Malta schauen oft geringschätzig auf ihr Land – ihre Sprache, Traditionen, Geschichte, Lebensweise – und das färbt auch darauf ab, wie wir über unser Land sprechen. Ich bin immer erstaunt, wenn Besucher positiv von ihrer Zeit in Malta berichten, und frage mich, warum wir nicht genauso positiv sein können.

Was können Andere von deinem Land lernen?

In einer Sache sind wir richtig gut, und das ist Freundlichsein. Unzählige Male habe ich mitbekommen, wie Menschen einander geholfen haben, ob es Einheimische oder Touristen waren. Das ist vermutlich der Vorteil davon, ein kleines Land zu sein und in kleinen Dörfern zu wohnen: Die Menschen kennen sich meistens über drei Ecken und können sich auf einander verlassen. Unser Leben ist entspannt, entschleunigt. Wir hetzen nicht von Ort zu Ort, ohne auch nur einen Blick auf unseren Sitznachbarn im Bus zu werfen oder jemanden in der Straße zu grüßen. Man sagt sich Hallo, man lächelt einander zu. Das ist wahrscheinlich die tollste Eigenschaft des maltesischen Volks.

Sarah, Großbritannien

Was können die Leute in deinem Land von anderen Europäern lernen?

Wir Briten könnten eindeutig von anderen innovativen Ländern lernen, nach vorne zu schauen. Wir neigen dazu, in Gedanken viel in der Vergangenheit zu verweilen (ganz besonders, wenn es um die beiden Weltkriege geht), und das beeinflusst, wie wir in der Gegenwart über Politik und internationale Beziehungen reden. Auch in Bereichen wie Ernährung oder Gesundheit haben wir noch Nachholbedarf und könnten von moderateren Ländern wie Frankreich lernen, wo z.B. Komasaufen kein so weit verbreitetes Phänomen ist.

Was können Andere von deinem Land lernen?

In Großbritannien sind wir oft übertrieben höflich, aber gleichzeitig machen wir uns nicht viel aus Authoritäten, vor allem nicht im öffentlichen Leben. Das gilt für die Politik, das Königshaus, die Religion – alles. Ich denke, es ist ein gutes und gesundes Mittel, mit Humor an ein ernstes Thema oder sogar eine angesehene Einrichtung heranzutreten. Das können sich andere Länder von uns abschauen.

Anna, Ungarn

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Was können die Leute in deinem Land von anderen Europäern lernen?

Wir könnten von anderen Ländern lernen, weniger egoistisch zu sein. Viele Ungarn denken, dass wir das Herz von Europa, ja sogar der ganzen Welt sind, und das wir in der Vergangenheit viel gelitten haben, natürlich ohne selbst Fehler begangen zu haben. Viele nennen Ungarns größten See ein „Meer“ und die höchsten Hügel „Gebirge“. Es gibt die Theorie, Ungarisch sei die älteste Sprache der Welt, und manche Menschen denken sogar, Jesus Christus war Ungar. Wir könnten auch lernen, Politik besser von unserem Privatleben zu trennen, denn heutzutage hat die Politik einen so großen Einfluss auf unseren Alltag, dass sich Familien oder Freunde entzweien, weil sie unterschiedliche politische Ansichten vertreten.

Was können Andere von deinem Land lernen?

Die Ungarn sind kreativ, aus unserem Land kommen viele berühmte Erfindungen wie der Zauberwürfel, der Kugelschreiber, Streichhölzer, Vitamin C, der Transformator, Holografie oder die Prezi-Software. Wir sind spontan und finden leicht eine gute Lösung, wenn etwas Unerwartetes passiert; wir können tolle Sachen aus wenig Materialien zaubern. Die Ungarn haben ein gutes Gemüt, Sinn für Humor, sie machen oft Sprachwitze, sie haben gerne Besucher und schenken selbstgemachte Pálinka, einen ungarischen Obstbrand, aus, sie arbeiten hart und viel. Und die Menschen sind sehr höflich: Ein Mann lässt einer Frau an einer Tür immer den Vorrang, und wenn eine ältere Person in eine Straßenbahn einsteigt, bietet man ihr oder ihm sofort einen Platz an.

Veronika, Slowakei

Was können die Leute in deinem Land von anderen Europäern lernen?

Hier fällt mir als erstes und wichtigstes ein, dass wir unbedingt mehr Wertschätzung von anderen europäischen Ländern lernen könnnen. Wertschätzung für tolle Dinge wie unsere Kultur, unsere Traditionen, unsere schöne Landschaft – um nur ein paar Punkte zu nennen. Manchmal kommt es mir so vor, als wären die Slowaken zu skeptisch und würden immer alles negativ sehen. Wir konzentrieren uns auf das, was schief läuft und nicht funktioniert, anstatt etwas zu genießen und die Gegenwart wertzuschätzen.

Was können Andere von deinem Land lernen?

Erst vor kurzem habe ich herausgefunden, dass wir ziemlich sorgfältig und fleißig sind, und oft still, aber auch sehr zielstrebig sein können. Diese Eigenschaften können wir an andere Europäer weitergeben. Wenn wir uns ein Ziel in den Kopf gesetzt haben, sind wir bereit, alles dafür zu geben, Neues zu lernen, sogar bis ans Ende der Welt zu reisen, um dieses Ziel zu erreichen.

Illustration

Luzie Gerb (Deutschland)

Studium: Kunstgeschichte, Kunsterziehung und Vergleichende Kulturwissenschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Schwedisch, Französisch

Europa ist… voller magischer Orte, interessanter Menschen und ihren Geschichten.

Webseite: www.luzie-gerb.de

Übersetzung

Anik Weiß (Deutschland)

Arbeit: Übersetzerin / Projektmanagerin

Sprachen: Deutsch, Französisch, Englisch, ein bisschen Spanisch und Italienisch

Europa ist vielfältig und voller spannender Kulturen, Menschen und Landschaften.

Korrektur

Anja Meunier (Deutschland)

Studium: Mathematik und Wirtschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch

Europa hat… schöne Länder, interessante Leute, einen tollen Lebensstil. Und die Notwendigkeit zusammen zu halten.

500px: Anja Meunier

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