Ein Lied ist eine Waffe

Protestsongs gibt es in jedem Land. Vor allem im Laufe der 60er und 70er Jahre wurde Rock- und Folkmusik mit politischen und sozialen Statements über die Welt, Sex, zwischenmenschliche Beziehungen, Arbeit, Macht und Diskriminierung aufgeladen. Die Lieder fordern Veränderung und prangern Missstände an. Protestsongs sind besonders in den Ländern wichtig und mutig, in denen es das Leben kosten kann, gegen Unterdrückung anzukämpfen. Genau das war in Portugal während der vierzig Jahre andauernden Diktatur der Fall, die 1974 mit der Nelkenrevolution endete.

In Portugal werden diese Lieder “Canções de Intervenção”, etwa Lieder des Einschreitens oder der Einmischung, genannt. Im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kollegen beschäftigten sich diese Sänger nicht mit Rock- oder Folkrockmusik, sondern griffen stattdessen zu den traditionellsten Instrumenten und erfanden so die Tradition neu. Obwohl ein orthodoxer Lebensstil von der Diktatur selbst bestärkt wurde, um so aufzuwerten, was „wahrhaft portugiesisch“ war, fanden diese Musiker in der traditionellen Musik einen Weg, sich auf subversive und provokante Art auszudrücken und dabei dennoch einen vertrauten Ton zu wahren, um sich den Menschen anzunähern. Das bedeutet nicht, dass ihre Interpretation der traditionellen musikalischen Elemente nicht innovativ war – dennoch waren die Texte die größte Leistung der Canções de Intervenção.

Sie sprachen von Krieg, von Ungerechtigkeit, von Armut, von Korruption, von Widerstand gegen die Diktatur – und versuchten bei alldem, die Zensur zu umgehen. Dem berühmt-berüchtigten „blauen Stift“ entging man durch schlaue Metaphern und Anspielungen. Zeca Afonso, der vermutlich wichtigste Musiker, Songschreiber und Sänger dieser Zeit, bezieht sich zum Beispiel in seinem Lied „Vampiros“ metaphorisch auf die Geheimpolizei PIDE.

Trotzdem wurden viele der Lieder verboten und viele der Sänger verhaftet. Ein großer Teil dieser Musiker war auch Teil des kommunistischen Widerstands gegen den Faschismus. Wer fliehen konnte ging ins Ausland, vor allem nach Frankreich, da in Spanien mit Franco ebenfalls ein faschistisches Regime herrschte. Trotzdem aber sangen sie und nahmen ihre Lieder auf. Die meisten dieser Lieder waren einfache Gitarrenballaden, aber bald schon wurden auch andere Instrumente, wie Klavier, Akkordeon, Flöten und Percussions eingebaut. Die Liedtexte sind in einem sehr poetischen Stil gehalten – viele von ihnen waren tatsächlich Gedichte, die erst später zu Liedern gemacht wurden. Zwei Dichter, die die Canções de Intervenção am meisten beeinflussten, waren Manuel Alegre und Ary dos Santos. Außerdem erfanden die Musiker, die oft noch Studenten waren, einen unverkennbaren Fado-Stil neu – Fado de Coimbra, benannt nach der bekannten Universitätsstadt.

Ihre hohe Qualität, ihr Gefühl und die poetische Natur ihrer Texte sowie ihre Melodie verleihen den Canções de Intervenção eine ewige Gültigkeit und verorten sie gleichzeitig in einer ganz bestimmten Zeit der Geschichte Portugals. Sie sind universell gültig und spiegeln zugleich die Anstrengungen und den Widerstand Tausender wider, für die Kunst ein Weg war, die Unterdrückung zu bekämpfen, Menschen zu vereinen und zu bilden und ganz besonders, ihnen ein Gefühl der Hoffnung und der Freiheit zu geben. Rebellische Teenager und Studenten hörten heimlich die verbotene Musik und protestierten dann auch öffentlich gegen die fehlende Freiheit.

Das Lied Grândola, Vila Morena von Zeca Alfonso, war außerdem eines der Signale, die im Jahr 1974 die Revolution in Bewegung setzten – eines der besten Schicksale, die einem Lied widerfahren können.

Ich schließe mit einem sehr heiteren Beispiel für die Canções de Intervenção, sowie auch einem aktuellen Lied einer portugiesischen Band, die als die Protestmusiker unserer Generation gefeiert wurde. Es geht vor allem um Arbeitslosigkeit und Trägheit. Viel Spaß!

Venham mais cinco – Zeca Afonso
Parva que eu sou! – Deolinda

[crp]

Autorin

Margarida Catela (Portugal)

Übersetzung

Anne Kilgus (Deutschland)

Studium /Arbeit: Sprachen Europas (Linguistik und Fremdsprachen)

Sprachen: Deutsch, Englisch, Italienisch, ein bisschen Französisch, Anfänger in Türkisch und Niederländisch

Europa ist… Vielfalt, Freiheit, Zuhause

Blog:http://aennchenvonradau.de

Twitter: @AennchenvRadau

Korrektur

Anja Meunier (Deutschland)

Studium: Mathematik und Wirtschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch

Europa hat… schöne Länder, interessante Leute, einen tollen Lebensstil.Und die Notwendigkeit zusammen zu halten.

500px: Anja Meunier

Author: mariana

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