Lern das Erbe deiner Heimat kennen – ein Projekt, das Bosniens Jugend verbindet

Zwanzig Jahre nach dem Krieg, seit dem Zweiten Weltkrieg der größte innerhalb Europas, ist Bosnien und Herzegowinas Gesellschaft immer noch stark gespalten. Während der letzten zwanzig Jahre wurden viele Hundertmillionen Dollar an verschiedene NGO-Projekte vergeben, die sich zum Ziel gesetzt hatten, die Angehörigen der drei Nationen das Landes – Bosnier, Kroaten und Serben – einander näherzubringen, um gegenseitigen Respekt zu fördern und eine Gesellschaft aufzubauen, die auf demokratischen Prinzipien fußt.

Bis heute hat leider kein wirklicher Aussöhnungsprozess stattgefunden, was eine Kultur der Straflosigkeit und ein bereits existierendes geteiltes Gedächtnis weiter verstärkt. In dieser Lage versuchen manche NGOs jedoch immer noch einen Raum zu schaffen, in dem die Jugend diese von außen diktierten systematischen Entzweiungen überwinden kann und in dem sie ‘die anderen’ ungezwungen kennenlernen und mit ihnen kommunizieren kann.

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Jugendliche putzen mittelalterliche Grabsteine

“Lern das Erbe deiner Heimat kennen” ist ein von der NGO Edukativo organisiertes und der UNESCO-Vertretung in Bosnien und Herzegowina finanziertes Projekt. Das Ziel des Projekts ist es, Schülern aus sieben zentralbosnischen Bezirken etwas über das gemeinsame kulturelle Erbe ihrer Gemeinden beizubringen. Dazu werden innovative Trainings, Workshops and zahlreiche andere Aktivitäten veranstaltet, die das Bewusstsein ihrer gemeinsamen Vergangenheit, versinnbildlicht in kulturhistorischen Denkmälern, kultivieren sollen und die als Brücke dienen kann, die sie verbindet.

Das Projekt wurde in drei Phasen durchgeführt: Die Anfangsphase im Juni 2015 bestand aus einer viertägigen Ausbildung. Danach arbeiteten die Teilnehmer während Wochenendworkshops im Sommer an der Erstellung von Listen und Karten über das kulturelle Erbe ihrer Gemeinden. Sie organisierten Ausflüge zu den Denkmälern, schufen kreative Werbeveranstaltungen mithilfe neuer Technologien und sie riefen selbstständig eine Kampagne ins Leben, um den Einheimischen ihr kulturelles Erbe näherzubringen, was alles zusammen die zweite Projektphase ausmachte. Schließlich organisierten die Schüler in der dritten Phase eine ‘Kulturerbe-Wanderung’, eine eintägige Tour für Mitschüler, Einheimische sowie Regierungs- und zivilgesellschaftliche Repräsentanten entlang der kulturellen Denkmäler in einigen Gemeinden, wo sie das Wissen und die Fertigkeiten präsentierten, die sie erworben hatten.

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Besuch in einer Höhle

“Die UN empfiehlt und ermuntert seit vielen Jahren das Miteinbeziehen und die Sensibilisierung junger Menschen für die Notwendigkeit, materielles und immaterielles Erbe zu bewahren, da sich in der Praxis gezeigt hat, dass diejenigen, die das richtige System von Einstellungen und Werten von jungen Jahren an übernehmen, ihr Erbe über ihr ganzes Leben hinweg weitergeben, was auch eines der Hauptziele dieses Projekts ist”, sagt die Projektkoordinatorin.

Nach dem Zweck all dieser Aktivitäten gefragt, antwortet sie: “Das hier ist kein Aussöhnungsprojekt, in Anbetracht dessen, dass nahezu alle Anstrengungen der letzten Jahre, eine Gesellschaft ohne sichtbare Spaltungen zu schaffen, gescheitert sind. Das Wort ‘Aussöhnung’ ist für die meisten bosnischen Bürger problematisch. Wir brauchen keine Aussöhnung im klassischen Sinne, wir haben jetzt lange in Frieden gelebt und ethnische Konflikte sind auf ein Minimum reduziert worden. Was wir brauchen, ist ein Dialog, denn dieser wird ständig vernachlässigt. Wir brauchen Treffpunkte irgendwo auf halber Strecke zwischen ‘uns’ und ‘ihnen’ und das unterscheidet dieses Projekt von anderen ähnlichen Versuchen. Der Schwerpunkt liegt auf Bildung und dem Akzeptieren des reichen kulturellen Erbes unseres Landes, damit junge Menschen ein Gefühl dafür entwickeln, dass das, was wir von der Vergangenheit geerbt haben, uns allen gehört, egal, welcher ethnischen Gruppe man angehört. Kulturelles Erbe kann man nicht selektiv mögen oder akzeptieren, auch wenn ihnen in den Schulen beigebracht wurde, dass ‘unseres’ wertvoll oder vielleicht reicher sei.”

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Gruppendiskussion

Während all dieser Aktivitäten wird den Teilnehmern Raum gelassen, diese Fakten selbst zu entdecken, ohne Zwang, ohne dass ihnen gesagt wird, dass die Akzeptanz dieser Sichtweise ihre Gesellschaft einen Schritt näher in Richtung wirkliche Aussöhnung und einer Wiederaufnahme des Dialogs bringen würde. “Indem man die Leute durch die Organisation etlicher Aussöhnungsprojekte zu einer Aussöhnung zwingen will, erreicht man genau das Gegenteil, weil sie es als eine Pflicht ansehen, wie etwas, das einem auferlegt wurde und nie Früchte getragen hat noch jemals Früchte tragen wird.”

Es scheint, als ob das, was nicht unmittelbar in den Klassenzimmern erreicht werden kann, außerhalb der Klassenzimmer durch diese Art Projekte, Trainings und einen systematischen Austausch zwischen den Gemeinden erreicht werden könnte. Aber glaubt die Projektkoordinatorin, dass dieses Projekt eine wirkliche Veränderung bewirken kann? “Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es eine bedeutende Veränderung anstoßen wird. Diese Kinder werden wieder in ihre eigenen Schulen gehen, wo sie fast keinen Kontakt zu Mitschülern in den anderen beiden Schulprogrammen haben, weil die meisten Schulen räumlich getrennt sind oder als “Zwei Schulen unter einem Dach” operieren. Die Kinder werden Medien konsumieren, die nationalistische Ideen oder die uniformen Meinungen der Mächtigen verbreiten. Sie werden weiter die tägliche Zerstörung kulturellen Erbes aufgrund von Vernachlässigung mitansehen, da diese Zerstörung nicht als entscheidendes Element im Gefüge der vorherrschenden Unterschiede anerkannt wird.”

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Ausflug in die geschichtsträchtige Stadt Jajce

Trotzdem zeitigt das Projekt bereits sichtbare positive Ergebnisse unter den Teilnehmern und darum geht es schließlich am Ende. Šeherzada und Stella, zwei Mädchen im selben Alter und aus derselben Stadt, hatten beispielsweise bisher keine Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu kommen, obwohl sie in dieselbe Schule gehen. Genauer gesagt: Der Unterricht findet im selben Gebäude statt, aber die beiden besuchen unterschiedliche Schulprogramme (ein bosnisches und ein kroatisches), die in zwei Schichten mit unterschiedlichen Lehrern, Rektoren und anderem Schulpersonal operieren. So wären sie einander wohl nie in der Schule begegnet, aber ebenso wenig in der Stadt, da die meisten kulturellen Institutionen oder sogar Cafés segregiert sind. Indem sie über das kulturelle Erbe ihrer Heimat diskutieren und während unserer Treffen ihre Ansichten über die ganze Situation in der Stadt und im Land austauschen, kann man leicht beobachten, wie sie die Absurdität dieses Systems erkennen und neue Einstellungen entwickeln. Bis zu seinem Ende wird das Projekt viele wichtige Fragen über gemeinsame Geschichte und gemeinsames kulturelles Erbe aufwerfen und hoffentlich viele andere positive Geschichten wie diese hervorbringen.

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Bei der Souvenirherstellung

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Autorin

Nikolina Marjanovic (Bosnien und Herzegowina)

Studium: Geschichte und Archäologie im Master

Sprachen: Kroatisch und Englisch

Übersetzung

Birger Niehaus (Deutschland)

Studium: Deutsch / Skandinavistik

Sprachen: Deutsch, Englisch, Schwedisch, ein bisschen Isländisch und Finnisch

Europa ist … dieses Fleckchen zwischen Alaska und Västerås.

Korrektur

Anja Meunier (Deutschland)

Studium: Mathematik und Wirtschaft

Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch

Europa hat… schöne Länder, interessante Leute, einen tollen Lebensstil. Und die Notwendigkeit zusammen zu halten.

500px: Anja Meunier

Author: Anja

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